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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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einen blassblauen Sweater und eine karierte Hose. Jedes Mal, wenn sie die Gabel zum Mund führte, klirrten ihre Armreifen. Sie sah zur mir herüberund wollte mich anlächeln, aber ich wich ihrem Blick aus. Im Gegensatz zu Mutter, die ihre Garderobe immer mit überraschend bunten Tüchern anreicherte, vergaß Sherry unweigerlich irgendein entscheidendes Detail – so auch heute: einen geknickten Blusenkragen. Sie bekam es einfach nicht hin, vielleicht war es ihr auch egal, als wäre in ihr etwas freigesetzt worden, das barfuß und schlampig herumlaufen wollte.
    Â«Ich analysiere Geschlechterrollen in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Aber das ist nur ein Beispiel.»
    Â«Sherry ist schon lange eine wichtige Freundin der Familie», verkündete Vater. Er straffte sich plötzlich wieder, nachdem er sich den größten Teil der Mahlzeit über nicht gerührt hatte. Er wirkte auf seinem Stuhl wie geschrumpft, zusammengekrümmt, als hätte er Magenschmerzen. Er beugte sich vom Gespräch weg, von Sätzen, die seinen Ohren wehtaten. Er verübelte Onkel Max seinen Wohlstand und meiner Tante ihr Leben aus einem Guss.
    Ich rollte mit den Augen. Glaubte Sherry wirklich, die Analyse von Geschlechterrollen mache sie zur Familienexpertin? Zu einer Ersatzmutter?
    Onkel Max nickte und starrte Sherry an, als hätte er eine Maske oder eine dunkle Brille auf. Aber er sagte nichts. Die Unerwähnbare war Mutter. Ihr Fehlen nistete in meinen Rippen, ein krampfartiger Schmerz, den ich nicht loswurde. Alle fühlten das.
    Tante Annette ermunterte Sherry fortzufahren.
    Aber Sherry hatte keine Lust, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, und wandte sich an Robert und Elliot: «Erzähl deiner Tante mal von deinem neuenFisch», sagte sie. Nach Roberts Aquariumsfiasko waren Robert und Elliot mit Sherry noch einmal zu der Zoohandlung gefahren und hatten auch für Elliot einen Fisch gekauft.
    Â«Wir haben einen Betta.» Elliot sah unsere Tante an, als fragte er sich, ob sie die Tragweite dieser Bemerkung verstand.
    Â«Einen Betta? Ich habe keine Ahnung, was das ist.» «Er heißt Only Boy», sagte Elliot. «Aber er gehört allen.»
    Â«Das ist ja schön», sagte meine Tante. «Das freut mich zu hören.»
    Â«Ich habe Elliot erlaubt, Only Boy in seinem Zimmer zu halten», sagte Robert.
    Â«Er hat wunderschöne schleierartige Flossen», sagte Elliot. «Aber man kann ihn nicht mit anderen Fischen zusammentun. Bettas kämpfen. Sie fressen andere Fische. Deswegen heißen sie auch siamesische Kampffische.»
    Â«Sie verteidigen ihre Reviere», sagte Robert. «Deswegen haben wir ihn Only Boy genannt», sagte Elliot.
    Ich war gern in Elliots Zimmer und sah mir Only Boy an. Ob er sich auf den Grund sinken ließ oder an der Wasseroberfläche zu knabbern schien, der Betta schoss in dem kleinen Glasbehälter herum, den Elliot auf seinem Nachttisch stehen hatte. Wenn ich mich dem Glas näherte, blähte Only Boy die Lungen und machte sich kampfbereit. Aber sobald ich mich aus seinem Blickfeld zurückzog, entspannte er sich und schwebte im Wasser wie ein Miniluftschiff.
    Â«Er ist echt nett», sagte Elliot.
    Vielleicht waren wir den Bettas ähnlich. Bettas lebten in seichten Gewässern in thailändischen Reisfeldern. Wir lebten in den Schachteln unserer Zimmer.
    Â«Ein glücklicher Betta macht Schaumnester», sagte Robert.
    Â«Das wirst du mir erklären müssen, Spätzchen», sagte Tante Annette.
    Â«Das ist ein Gebilde aus Luftblasen, die das Männchen an der Wasseroberfläche aufnimmt und zu einem Nest zusammenfügt, um ein Weibchen anzulocken», sagte Robert.
    Â«Only Boy macht nachts seine Blasen», sagte Elliot. «Er ist glücklich.»
    Onkel Max leckte sich die Lippen. «Das ist ja schön», sagte er.
    Er nahm das Gespräch über das große neue Immobilienparadies Florida wieder auf. Wer wollte schon Winter haben? Es war ein Rätsel, dass er diese Offenbarung nicht schon früher gehabt hatte. Er schenkte Vater Wein nach. Vater saß weiter in sich zusammengesackt und gleichgültig am Tisch und trank ab und zu einen Schluck Wein. Elliot manschte Kartoffeln, Erbsen und Hackbraten zu einem großen Brei zusammen.
    ~~~~~~~~~~~
    Das alles schoss mir durch den Kopf, während Mrs Gore im Flur stand und darauf wartete, dass ich sie ins Haus bat. Ihr kurz geschorenes

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