Schwindelfreie Luegen
begleiten?«
Ich nicke stumm und bete zu Gott, dass ich noch etwas Passendes finde.
Um achtzehn Uhr bin ich mit Jean am Empfang verabredet. Das ist recht früh, doch er wird schon wissen, was er tut. Ich habe ein schlichtes schwarzes Abendkleid erstanden, das vorne hochgeschlossen ist, jedoch über einen raffinierten Rückenausschnitt verfügt. Dieses Kleid habe ich ganz allein gekauft, denn ich will Jean überraschen. Die neue Stola kommt direkt zum Einsatz, sowie ein Paar silberne Pumps, die ich mir kurzentschlossen noch gegönnt habe, auf Kosten der nächsten zehn Urlaubsreisen, aber Scheiß drauf. Die Gelegenheit, mit einem atemberaubenden Mann, wie Jean es ist, ein Konzert zu besuchen, wird sich so schnell nicht wieder ergeben.
Diese Verabredung mit einem Wildfremden, der Jean nun mal ist, zaubert mir Schmetterlinge in den Bauch, die dort wild herumflattern. Ich bin eigentlich ein besonnener Mensch, der keine großen Risiken eingeht, sodass diese Verabredung für mich schon an ein Abenteuer grenzt. Ich weiß nicht, woher dieser Mann plötzlich aufgetaucht ist, doch ich hoffe, dass er nicht so schnell wieder verschwindet.
Als ich aus dem Aufzug trete, bleibt mir fast das Herz stehen. Jean steht in der Halle und wartet bereits auf mich. Er trägt einen eleganten Smoking mit schwarzer Fliege und weißem Hemd. Seine gebräunte Haut steht ganz im Kontrast dazu. Wie kann jemand nur so gut aussehen?
Wie elektrisiert schaut er plötzlich auf und entdeckt mich. Sein Blick verändert sich und ein Lächeln zieht über seine Lippen. Er zupft etwas nervös an den Manschetten seines Hemdes und die silbernen Manschettenknöpfe ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich. Eine wunderschöne Arbeit, mit Sicherheit eine Sonderanfertigung. All diese Einzelheiten registriere ich im Näherkommen.
»Sylvie, Sie sehen ... fantastisch aus.« Er beugt sich zu mir und küsst mich auf beide Wangen. Ich merke, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt.
»Danke, dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben.«
Er lächelt mich an und reicht mir seinen Arm. »Wenn ich bitten darf, wir haben eine Stunde Fahrt vor uns.«
Vor dem Hotel steht ein kleiner silberner Flitzer und der Portier hält mir die Beifahrertür auf. Ich gleite auf den Sitz und bin doch ein wenig irritiert. Mit einem fremden Mann ein Konzert in Cannes zu besuchen, ist eine Sache – aber sich ihm gleich vollkommen anvertrauen zu müssen und sich durch eine Gegend fahren zu lassen, in der ich mich nicht auskenne, ist eine ganz andere. Jetzt wäre der Moment, in dem ich umkehren sollte, das weiß ich plötzlich ganz genau, aber ich weiß auch, dass ich es nicht tun werde. Ich bin in Cannes, um auf andere Gedanken zu kommen, und eines ist sicher: Nichts von dem, was ich gerade denke, hat auch nur im Entferntesten mit der Sylvie zu tun, die gestern in den Zug stieg. Aschenbrödel ist auf dem Weg zu ihrem Ball und wird ihn genießen. An der Seite dieses männlichen Traums, der mich wie ein vollendeter Gentleman anlächelt.
»Ist das Ihr Auto?«, frage ich vorsichtig. Wenn ja, warum ist er dann mit dem Zug hierher gereist?
»Nein, Sylvie, es ist ein Leihwagen des Hotels. Seien Sie unbesorgt, man kennt mich, ich steige regelmäßig hier ab und denke, das Personal würde für mich bürgen.«
Ich lächele und fühle mich ertappt. »Ich vertraue Ihnen, Jean«, sage ich, dann lehne ich mich mit einem Seufzer in dem ledernen Polster meines Sitzes zurück. Manchmal muss man auch etwas riskieren.
Nach knapp einer Stunde Fahrt erreichen wir die Oper von Monte Carlo. Wow, was für ein Gebäude! Von der tief stehenden Sonne in Orange getaucht, ragt es vor uns auf. Wir parken ganz in der Nähe und laufen das kurze Stück zu Fuß. Der Eingang wird von hellen Spots beleuchtet. Auf den Plakaten ist zu sehen, dass heute La Boheme von Puccini aufgeführt wird.
»Ein Konzert?«, frage ich skeptisch.
»Kleine Planänderung! Ich dachte mir, wenn Sie schon mal an der Côte dʼ Azur sind, sollten Sie einen Besuch der Oper in Monte Carlo keinesfalls verpassen.«
Wir haben zwei der besten Plätze und ich will gar nicht wissen, wie Jean so schnell an diese Karten gekommen ist, denn die Vorstellung scheint ausverkauft. Sobald die Ouvertüre erklingt, nimmt mich die Musik gefangen. Ich vergesse alles um mich herum und lausche andächtig, bis die Sänger erscheinen und mich mit sich reißen. Bis zur Pause bin ich so gefesselt, dass ich Jean an meiner Seite g änzlich vergesse. Erst als der Vorhang
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