Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
großen See Vällen vorbei sind, zieht Lillemor den Persianerhut so tief wie möglich in die Stirn und fährt so nah auf, dass nur noch knapp hundert Meter zwischen ihnen sind.
Richtig! Sie biegt nach Rotbol ein.
Lillemor hält jetzt am Straßenrand an und lässt Babba einen größeren Vorsprung. Ohne recht zu wissen, warum, ist sie den Tränen nahe und denkt jetzt an diese Kleider, die Babba aufgehoben hat. Das hellgrüne Abendkleid und alles andere. Angeschmuddelte Reste einer Vergangenheit, die nicht zu ändern ist. Wäre das Gewesene doch so barmherzig, sich mit dem Verblassen der Erinnerungen selbst auszulöschen! Wenn man aber darüber schreibt, werden zwar die Erinnerungen ausgelöscht, doch die Begebenheiten ragen hart auf, als wären sie von der Sprache emailliert. Nahezu unzerstörbar.
Das Kostbarste, was wir besitzen, ist das, was wir nie einem Menschen erzählt haben. Das kann nicht verdreht werden. So denkt sie, doch was man auch für Gedanken im Kopf hat und welche Gefühle einem durch die Seele rauschen, der Körper arbeitet unverdrossen an seinen Bedürfnissen. Lillemor muss mal wieder, qualvoll dringend. Doch jetzt kann sie aussteigen, einen Graben überqueren und sich ein Stück in den Wald setzen.
Nach einer Weile lässt sie den Motor wieder an und fährt langsam auf die Straße zur Kate. Die Eichen stehen noch. Das rührt sie. Es ist Herbst, und die Bäume verlieren ihre Blätter, aber das Eichenlaub ist nur welk geworden und hängt noch. Sie erinnert sich, wie es im Wind raschelt.
Bei einer Ausweichbucht, die es früher noch nicht gegeben hat, fährt sie an den Straßenrand, steigt aus und geht zu Fuß weiter. Die Eichen rauschen und rascheln tatsächlich noch wie früher. Der Duft von Moos und Moor steigt auf und treibt ihr wieder die Tränen in die Augen.
Sie sieht den Brunnen mit der gusseisernen Pumpe. Den Stall, den Brennholzschuppen, den Erdkeller. Nichts ist neu hier, aber die Gebäude müssen erst vor Kurzem mit roter Farbe gestrichen worden sein, denn es ist nichts von einem windzerfressenen, grauen Verfall zu erkennen. Lillemor verlangsamt ihren Schritt, als sie Babba mit großen Lebensmitteltüten ins Haus gehen sieht. Und als sie wieder herauskommt, steht Lillemor nur wenige Meter vor der Vortreppe. Babba bleibt stehen. Und dann kommt das Sonderbare: Sie lächelt.
Die unförmige Gestalt
hat weder Stacheln noch Krallen. Aber so ist das wohl mit den Trollen, denkt Lillemor. Sie locken einen freundlich in den Berg. Lassen Silber klingen und schmieren einem Honig ums Maul.
Obwohl es lange her ist, dass sie verlockt wurde. Und nun soll sie hinausgeworfen werden. Die Öffentlichkeit ist viel größer, als man glaubt, wenn man darin heimisch ist und sich, gut gekleidet und allgemein respektiert, dort sicher bewegt hat. Sie hat eiskalte Ecken, wo die Verstoßenen sich tummeln, die fast vergessen, doch für immer gezeichnet sind. Was haben sie denn eigentlich getan? Niemand weiß es mehr genau. Ein paar Rechnungen frisiert? Eine Frau in einem Hotel vergewaltigt?
»Haaallo«, sagt Babba und klingt genauso wie seinerzeit im Engelska Parken. Und dann kommt nichts Ominöseres aus ihr heraus als: »Wo hast du denn das Auto?«
Auf dieser Straße kann jemand kommen, der Micra muss weggefahren werden. Eigentlich ist es nicht nötig, denn sie hat sich ja in die Ausweichbucht gestellt, aber sie ist für die Unterbrechung dankbar und geht hin. Babba sagt, sie bringe nur erst die Sachen ins Haus und werde ihr dann einen Platz zeigen. Als Lillemor an der offenen Heckklappe von Babbas Citroën C4 steht, sieht sie in einer der Tüten zuoberst eine Packung Würstchen liegen. Sie hat fürchterlich Hunger, und ohne nachzudenken, öffnet sie ihre Handtasche und holt eine Nagelfeile heraus. Damit öffnet sie das Wurstpaket, und als Babba zurückkommt, hat sie bereits drei Würstchen gegessen.
Nun erfolgt das Automanöver, wobei nur über Praktisches gesprochen wird. Danach stehen sie in der hereinbrechenden Dämmerung und schauen sich um.
»Es ist alles noch beim Alten«, stellt Lillemor fest.
»Es wird langsam wieder so«, sagt Babba. »Die Kahlschläge sind ja nun bepflanzt, und die Bäume wachsen heran.«
»Wohnst du hier?«
»Ja, ich habe für die Kate eine Erbpacht auf neunundneunzig Jahre. Der Baron steht auf so altes Zeug. Er will nicht verkaufen. Oder darf nicht.«
Was redet sie denn alles, denkt Lillemor. Ist sie nervös?
»Gibt es den Tümpel noch?«
»Ja, sicher«, sagt Babba und
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