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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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fest.“

Kapitel 10

    B ruder Marcus hatte sich einen ganz eigenen Gang angewöhnt. Dieser beinhaltete einen kerzengeraden Rücken, ein geneigtes Haupt und lange, ausladende Schritte. Der gerade Rücken versinnbildlichte, dass er ein aufrechter Christ war, die demütige Haltung seines Kopfes war Ausdruck seiner Bescheidenheit, und die Schrittlänge bedeutete, dass er schnell und fleißig war und ihn nichts von seinem Ziel abbrachte. So zu gehen geziemte sich für ihn. Das hatte man ihm schon von früh auf beigebracht.
    Bruder Anselm hastete ihm schnaufend nach. Der christliche Magier verbrachte seine Zeit gemeinhin eher mit Nachdenken und vermied es, bei schlechtem Wetter draußen herumzulaufen. Doch vermutlich hätte er sich eher die Zunge abgebissen, als zuzugeben, dass er körperlich nicht ebenbürtig war. Marcus versagte sich ein Lächeln. Darin war er gut. Lächeln war gefährlich.
    Die Grenzer hatten am Hafen ein Büro. Vermutlich würden auch Beamte da sein, wenngleich vielleicht nicht dieselben wie am Nachmittag. Wahrscheinlich würde es völlig sinnlos sein, die Nachtschicht nach den Ereignissen am Nachmittag zu befragen.
    Er hätte gerne seinen Ordensbruder gefragt, was sie denn tun würden, wenn die Beamten schon weg wären, doch er unterließ es. Er sprach so wenig wie möglich mit Bruder Anselm, der nie eine Gelegenheit ausließ, darauf hinzuweisen, dass er Marcus an Rang überlegen war. In einer Bruderschaft mochte es einen schon stören, dass keine zwei Brüder jemals als gleichwertig angesehen wurden. Geweihte Priester waren jeweils Einsatzleiter. Ihre Ausbildung umfasste kluges Planen, Strategie, Sprachen, Taktik und Tricks. Seelsorgerische Tätigkeiten gehörten eher nicht zu ihrem Aufgabenbereich.
    Die christlichen Meister des Arkanen erhielten eine Ausbildung in dem, was man gemeinhin als weiße Magie bezeichnete. Marcus argwöhnte allerdings, dass die Magie selbst sich nicht wesentlich von anderer Magie unterschied. Weiß war sie wohl primär in ihrer Ausrichtung und ihrem Zweck. Viele weiße Magier gab es nicht. Und beinahe jährlich wurden es weniger. Ihre Seltenheit hob ihren Wert. Tatsächlich konnte der Orden ohne sie gar nicht auskommen. Es war nicht möglich, unnatürliche Kreaturen ohne die Zuhilfenahme der arkanen Künste zu besiegen.
    Man hatte Bruder Marcus geprüft, doch er hatte keinerlei Talent fürs Arkane gezeigt. Er war darüber enttäuscht gewesen, denn das hieß, dass er ein Leben lang nur das sein würde, was er heute war, ein Handlanger, einer, der Dinge für andere vorbereitete und zudem noch der Mann fürs Grobe war – und selbst da war er kein Herkules.
    Bisweilen war es nicht einfach, dankbar zu sein, doch er war es trotzdem. Es war eines der Dinge, die man ihn nachhaltig gelehrt hatte: dankbar sein. Er hatte ein Zuhause, er hatte Brüder, er hatte seinen Glauben, und er wurde von Gott geliebt. Was konnte man mehr verlangen?
    Er schob die Frage aus seinem Sinn aus Furcht vor einer eventuellen Antwort. Antworten brauchte er nur für eine einzige Sache – für die Fragen von Pater Bonifatius. Leben bedeutete Gehorsam. Bruder Marcus gehorchte.
    In dem kleinen Gebäude, in dem das Zollamt untergebracht war, brannte Licht. Auf Patrouille schien indes keiner der Grenzer zu sein. Das Wetter war zu schlecht. Bruder Marcus lächelte in sich hinein, ohne seinen Mund dabei zu verziehen. Seine Kutte war durchweicht, und er erfreute sich an der Gewissheit, gegen alle Unbill seine Pflicht zu erfüllen. Niemals würde er sich selbst nachgeben und nach einem Unterstand suchen. Auch beklagte er sich nicht. Das Wetter war, wie es war, und im göttlichen Weltgefüge hatte es gewiss seinen Sinn. Wer war er schon, dass er das anzweifeln wollte?
    Er hielt vor der Tür an und sah, wie Bruder Anselm sich den Regen aus den Augen rieb. Das Gesicht des Mannes zeigte keine Regung, erschien jedoch nicht so sehr stoisch als vor Ärger versteinert.
    „Und nun?“, zischte der Magier. „Wollen Sie klopfen, oder bleiben wir einfach hier draußen im Regen stehen?“
    Den Rücken gerade, den Kopf gebeugt, kein Lächeln auf den Lippen – so klopfte Bruder Marcus an die Tür.
    Die Kirche genoss immer noch Respekt in der Bevölkerung. Das fromme Kuttengewand wirkte nach wie vor. In der kleinen, schlecht beleuchteten Amtsstube mochte um diese Zeit niemand wirklich willkommen sein, und doch erfuhren die beiden Ordensbrüder eine große Hilfsbereitschaft. Freilich mochte das auch damit zusammenhängen,

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