Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
wenigstens einen kurzen Moment hingelegt.
Er war todmüde. Seine Haut brannte, als wäre er zu lange in der Sonne gewesen. Und jedes einzelne seiner Organe fühlte sich an, als hätte es jemand zuerst geprügelt und anschließend in Öl frittiert. Schmerz war ein alter Bekannter, doch die Fey-Kreatur, die sich mit ihm seinen Körper geteilt hatte, war bemüht gewesen, seinen Körper zu heilen und nicht, ihm zu schaden.
Diesmal war es anders. Menschliche Magie war weit weniger elegant als die der Fey. Ihnen galt das Natürliche wie das Übernatürliche als identisch. Ihr Leben war nicht in dieselben physikalischen Gesetze eingebunden. Ergo mussten sie nicht erst das wissenschaftlich Mögliche durchbrechen, um ein Resultat zu erzielen. Arkane Kräfte waren ihnen eher eine angeborene Kunst als eine erlernte Wissenschaft.
Die schiere Macht des gestrigen Angreifers war imposant gewesen, doch auch harsch und unelegant im Vergleich zu den Manipulationen, denen Ian bislang ausgesetzt war. Die Erinnerung daran war beängstigend, nicht zuletzt in der Erkenntnis, dass es so gar nichts, wirklich absolut nichts gegeben hatte, das Ian dagegen hätte ausrichten können. Seine Logenbrüder machten sich dauernd horrende Sorgen wegen der ihm eigenen Kräfte. Doch diese hatten ihm nicht einen Deut weitergeholfen. Sie hatten lediglich dem Gegner eröffnet, dass hier jemand war, den es zu eliminieren galt.
Er sah noch deutlich den Blick des Bruders der Fraternitas Lucis. „Ich weiß nicht, was du bist“, hatte eine Stimme in seinem Kopf gedröhnt, „aber du bist anders, und das allein schon ist eine Sünde gegenüber der Schöpfung Gottes.“ Die Peitsche knallte, und Ian konnte nur zusehen, wie Scheiben seines Herzens gen Boden rutschten, wo sie im Feuer zu schwarzem Kohlenstoff verbrannten. „Was ist?“, fragte Sutton, während er seinen Kollegen wach schüttelte.
„Was?“, fragte Ian und versuchte rasch, seine Sinne wieder zu sammeln.
„Sie haben geschrien.“
„Ich hatte einen Albtraum.“
„Sonst nichts?“
„Reicht das nicht – unter den gegebenen Umständen?“
Sutton zuckte mit den Schultern und wandte sich vom Bett ab.
„Ich habe Frühstück bestellt. Wir müssen bald los.“
„Und wohin?“
„Ich dachte, Sie hätten ein Interesse daran, das kleine Mädel zu retten?“
Ian rappelte sich hoch und klatschte sich etwas Wasser ins Gesicht. Was er lieber gehabt hätte, wäre ein heißes Bad, doch Luxus musste warten.
„Natürlich will ich sie retten. Aber wie denn? Oder genauer – wo denn?“
„Nehmen Sie Ihr Pendel. Zeit für eine Übungsstunde.“
Ian zog sich Stiefel und Gehrock an. Aus der Innentasche des schwarzen Kleidungsstücks zog er eine Kette hervor, an deren Ende ein ungeschliffener, orangeroter Stein baumelte. Sutton starrte ihn zweifelnd an.
„Ich bin sicher, meine werten Herren Kollegen an der Loge haben Sie darauf hingewiesen, dass ein rohes Stück Salz aus einer Mine nicht die Art von Kristall ist, die zum Auspendeln geeignet ist.“
„Natürlich. Sie sagen es mir andauernd. Aber ich bekomme hiermit gute Ergebnisse – für einen Anfänger.“
Suttons Augenbrauen hoben sich.
„Hat das was mit Ihrer Vergangenheit zu tun?“
Ian nickte nur. Salz würde für immer ein Teil von ihm sein.
Sutton griff in die Tasche und holte eine ähnliche Silberkette hervor, an der ein Pendel baumelte. Der Stein war schwarz.
„Obsidian?“, fragte Ian.
„Obsidian ist kein richtiger Stein. Er ist mehr wie Glas. Je weniger eigene Oszillation das Gewicht eines Pendels hat, desto besser. Man bekommt nicht so schnell Fehlwerte.“
„Unsere älteren Brüder werden da kaum mit Ihnen einer Meinung sein.“
„Aber nur, weil viele von ihnen eitel sind und wertvolle Edelsteine geradeso lieb haben wie jedes leichte Mädchen. Ein wohlhabender Logenbruder zu sein kann ganz schön langweilig werden, wenn man es sich zwischen konservativen Werten und gepolsterten Lehnsesseln bequem macht. Da kann es schon mal vorkommen, dass man elstergleich anfängt, schöne Glitzerdinge anzuhäufen.“
Ian kicherte.
„Sie sind ausnehmend streng, mein werter Bruder.“
„Hauptsache, Sie freuen sich darüber. Jetzt wollen wir das mal probieren.“ Er legte einen Kompass vor sich auf den Tisch. „Sie wissen, was Sie zu tun haben?“
Ian nickte. Er leerte seinen Geist, fokussierte sein Sein um seine Absicht, visualisierte das Gesicht des Mädchens vor seinem geistigen Auge und versuchte, eine Art
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