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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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rosa“, murmelte sie. „Mit weißer Spitze. Ganz viel Spitze. Und einem Ausschnitt wie bei einem Erwachsenenkleid. Und es fliegt und wirbelt, wenn ich tanze. Meine Schuhe berühren das Parkett nur ganz leicht, während ich tanze. Und alle schauen mich an und finden mich hübsch.“
    Sie berührte ihren Hals und ertastete Perlenschmuck, der sich wie Tautropfen anfühlte.
    „Ich will tanzen und nie mehr aufhören.“
    „Krah“, sagte ihr Partner. Sie versuchte, ihm nicht in die Augen zu blicken. Irgendetwas an ihm war falsch, und wenn sie nicht Acht gab, würde sie herausfinden, was das war. Dabei hätte sie es lieber nicht gewusst.
    „Wenigstens ist es warm!“, sagte sie, und schon musste sie darum kämpfen, nicht aus dem kerzenreichen Ballsaal zu verschwinden, ihren Gedanken hinterher, die ob der plötzlichen realistischen Betrachtungsweise auf einmal draußen standen.
    Schon stand sie vor verschlossener Tür.
    Sie hörte den Regen. Bisweilen erreichte sie der eine oder andere Tropfen, doch sie war nicht nass. Weit ausladende Nadelbaumäste waren über ihr ausgebreitet und hielten sie trocken.
    Ihre Hände berührten den Boden neben ihr. Moos und Blätter. Sie war also ganz gewiss nicht in ihrem eigenen Bett. Wohin war sie nur gegangen, als ihr Geist auf Abwegen wandelte? Was war geschehen?
    „Fräulein Vanholst?“
    Keine Antwort. Das war ziemlich erschreckend. Fräulein Vanholst war immer da, wenn man sie brauchte. Sie war ein Fixstern in einem sich ständig wandelnden Universum, unerschütterlich und dabei ganz erstaunlich selbstlos.
    Clarissa wusste, dass die Liebe ihrer Mutter auf die Lehrerin übergegangen war, als erstere starb. Sie hatte es gesehen und es als Wunder akzeptiert. Die Welt war überhaupt voller Wunder. Die meisten Menschen sahen sie nur nicht. Clarissa schon.
    Manchmal was das ganz schön beschwerlich. Bewusst war Clarissa niemals darauf aus, mehr zu sehen als andere Menschen. Sie redete auch nicht mehr oft über die Wunder, weil die Leute sie doch nur irritierend fanden. Tatsächlich versuchte sie, nicht mehr zu sehen als andere, aber es gelang ihr einfach nicht. Dann brauchte sie ihre Auszeiten, und die wiederum beunruhigten jene, die sie liebten.
    Zum ersten Mal dachte sie so genau darüber nach. Vielleicht war es ja gar kein Fluch, sondern ein Segen? Sie sah sich um und fand harsche Wildnis. Sehr gesegnet fühlte sie sich gerade nicht. Und all diese Vögel waren schon beängstigend.
    Manche von ihnen schliefen. Andere wachten neben ihr, fokussierten sie mit scharfem, schwarzem Blick. Wieder andere hielten ihre Schwingen über sie ausgebreitet, als wollten sie sie wärmen und beschützen.
    Ein Duft lag in der Luft, den sie erkannte. Er roch nach Winter. Wenn es schneite, würde sie erfrieren, schließlich trug sie nicht mal ein Kleid, schon gar kein rosa Ballkleid. Sie erinnerte sich, dass sie schon seit ihrem Aufenthalt in jenem Haus ohne Kleid war. Sie zitterte. Wie kalt es mit einem Mal wurde, wenn man mit dem, was von der Realität übrig blieb, auf einmal allein war!
    Sie schloss die Augen und rüttelte an der Tür zum Ballsaal.
    „Lasst mich rein!“, bettelte sie. „Bitte. Ich will nicht hier draußen bleiben. Ich gehöre nicht hierher. Außerdem ist es kalt.“
    Die Vögel hüpften näher. Mehr und mehr Schwingen breiteten sich über sie, und die kleinen Körper schmiegten sich warm an sie.
    Clarissa suchte nach vernünftigen Gedanken. Doch Vernunft war ein so flüchtiges Ding. Sie beneidete Fräulein Vanholst einen Augenblick lang und dann wieder nicht, als ihr klar wurde, dass ihre Lehrerin die Realität zu jedem Zeitpunkt mit all ihren gruseligen Einzelheiten wahrnahm. Vielleicht war das nicht wirklich beneidenswert.
    Clarissa besah sich ihre eigene Situation. Sollte sie aufstehen und davonlaufen? Nur, wohin? Sie wusste ja nicht mal, wo wie war, obgleich sie die Hügel unter sich spüren konnte und ihr weiß-felsiges Rückgrat. Irgendetwas Drastisches zu unternehmen, ohne mehr als diese Information zu haben, schien ihr falsch. Außerdem war ihr nun auch gar nicht mehr kalt. Die Bäume waren gütig, besonders der riesige, unter dem sie lag und der den Himmel ihres Bettes formte sowie das Dach ihrer Unterkunft. Sie fühlte deutlich seine behütende Sorgsamkeit, und sie streckte ihre Hand nach der Rinde aus. Die war schartig und alt, aber auch ihr wohlgesonnen. Der Baum blieb allerdings still. War ja nur ein Baum. Und doch auch sehr viel mehr.
    „Danke, dass du mich

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