Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
aufgrund des fahlen Lichts.
Ein altes Mütterchen stand vor Konstanze und blickte sie an. Ihr Kopftuch war tief ins Gesicht gezogen, und die schrumpelige Alte stand weit vornübergebeugt. Ihr einfaches Arbeitskleid mit Schürze war zu Fetzen zerschlissen. In dieser Gegend gab es vermutlich viele arme Leute.
„Ich weiß schon, ich sollte nicht hier sein“, fuhr Konstanze fort. „Aber ich habe mich verirrt und musste irgendwo übernachten. Wenn dieser Schober Ihnen gehört, dann entschuldige ich mich für mein Eindringen und danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft.“
Konstanze konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Frau vor sich hin murmelte. Allerdings war so gar nichts zu hören. Vielleicht sollte sie einfach ihr Pferd nehmen und verschwinden. Ein übermächtiger Wunsch, ganz weit weg zu sein, überkam sie. Kalte Schauer rannen ihr über den Rücken.
Jetzt stand das Weiblein zwischen Konstanze und dem Pferd. Das machte die Dinge nicht einfacher. Sie merkte, wie ihre eigenen Füße sich selbstständig machten und immer weiter zurückwichen, ohne dass sie sich bewusst dazu entschlossen hatte.
Dem Pferd schien es ähnlich zu ergehen. Es scheute nervös und tänzelte rückwärts. Selbst in dem schlechten Licht konnte man sehen, wie seine Augen weiß vor Angst blitzten.
Es war doch nur ein altes Mütterchen, sagte sie sich. Das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass sie nun kräftig gescholten wurde dafür, dass sie in einem fremden Gebäude Unterschlupf gesucht hatte.
Nun sah die Frau auf, und Konstanze würgte vor Ekel. Tief klaffende Wunden zogen sich durch die Kehle der Frau. Das Blut war getrocknet, und man konnte Sehnen und Rachen sehen und sogar etwas weißen Knochen. Konstanze war keine medizinische Koryphäe, doch sie war sich ziemlich sicher, dass man eine solche Verletzung nicht überleben konnte. Irgendein wildes Tier hatte der Frau die Kehle zerfetzt.
Der Gedanke blieb hängen: Die Frau musste tot sein. Sie ging, sie bewegte sich, sie blickte Konstanze an. Doch sie war tot. Ihre Augen waren mit einer weißen Schicht bedeckt, ihre Haut war grau und scharfkantig über die Knochen gespannt.
„Guter Gott! Beschütze uns vor allem Übel!“, flüsterte Konstanze, als ihr Rücken auf die Wand des Schuppens traf. Was tat man gegen Geister? Geister gab es nicht.
So, wie es auch keine Magie gab?
Die Erscheinung näherte sich. Sie roch muffig; alt und trocken, nicht wie etwas, das eben erst gestorben und der Verwesung anheimgefallen war. Getrocknete Pilze rochen ähnlich.
Die weißen Augen musterten Konstanze von Kopf bis Fuß.
„Jung und stark. Ich war alt und schwach“, flüsterte es durch den ganzen Schuppen. Selbst die Holzbretter schienen es zu summen.
„Schön und blond und mit klaren Augen. Ich war grau und runzelig und halbblind“, fuhr die Stimme fort.
Noch ein Schritt brachte die Gestalt näher.
„Wirst du ihn töten?“
Ein gichtiger Finger hob sich Konstanzes Herz entgegen. Sie versuchte, noch weiter zurückzuweichen, doch weiter ging es nicht. Sie zitterte.
„Wirst du ihn lieben?“
„Wen denn?“, fragte Konstanze fast gegen ihren Willen. Sie wollte lieber nicht Gespräche mit Gespenstern führen. „Von wem reden Sie bitte?“
„Hier und dort – an jedem Ort“, murmelte die Gestalt.
„Geht und kommt wie’s ihm frommt“, ging es weiter.
„So sei klug – sieh den Trug!“
„Wer denn? Von wem reden Sie?“
„Wirst du ihn töten? Wirst du ihn lieben? Wirst du ihm sein Untergang oder seine Beute sein?“
Konstanze merkte, wie ihr eine Träne über die Wange rann. Sie war zu versteinert, um sie fortzuwischen.
„Viele sind einer, und einer ist zwei. Zweie sind einer und deiner dabei.“
Der schrumpelige Zeigefinger deutete immer noch auf sie, kam näher und näher, durchdrang ihre Kleidung, ihre Haut und berührte ihr Herz. Eis schoss ihr durch die Adern.
„Beende es oder verende!“, sagte die Erscheinung.
Konstanze schrie. Wie Wellen schlug der Schrecken über ihrem Kopf zusammen. Kälte kroch ihr aus dem Herzen, in ihr Blut, in ihre Haut. Fast fühlte es sich an, als wäre sie mit einer Eisschicht bedeckt. Es bedurfte ihrer gesamten Willenskraft, auf ihre Hände zu blicken. Kein Eis.
Da stand sie nun in einem Heuschober mit dem Rücken zur Wand und schrie. Sie war ganz allein, bis auf das Pferd, das wild ausschlug und beinahe die wacklige Bretterwand eintrat.
Sie sank auf die Knie und atmete tief ein in dem festen Wunsch, den Atemzug nicht
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