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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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wieder als Schrei von sich zu geben.
    Konzentration. Clarissa.
    Sie kroch hinüber, um das Ross zu beruhigen. Auch musste sie nach den Satteltaschen sehen, denn in der Nacht zuvor war es zu dunkel gewesen, um herauszufinden, was sie enthielten. Hoffentlich ein Taschentuch. Sie konnte wirklich eins gebrauchen.
    Weinen war sinnlos. Sie musste nachdenken, was als Nächstes zu tun war. Sie musste etwas zu essen auftreiben. Geld. Etwas hatte sie noch in ihrem Kleid versteckt. Vielleicht hatte Herr von Rosberg ja welches in seinen Taschen? Sie hatte ihm nun schon das Pferd gestohlen. Die dazugehörigen Taschen ebenfalls zu entwenden war nur der nächste logische Schritt. Einmal Dieb, immer Dieb.
    Sie schluckte beim letzten Gedanken und hoffte, dass Pferdediebstahl im Königreich Bayern nicht mit der Todesstrafe geahndet wurde. Darüber nachdenken mochte sie nicht. Genauso wenig mochte sie darüber nachdenken, was sie soeben erlebt hatte. Sie war berührt worden, gezeichnet, markiert. Beende es oder verende. Was sollte sie denn beenden?
    Am besten, man dachte gar nicht erst darüber nach. Es war Morgen. Sie hatte eine Feder. Tatsächlich hielt sie sie immer noch umklammert. Würde sie sie dahin führen, wohin sie musste?
    Wirst du ihn töten? Wirst du ihn lieben?
    Wirst du bitte nicht darüber nachdenken ... jedenfalls nicht jetzt. Gespenster und hysterische Anfälle hatten sich auf ihrer Liste von Problemen bitte hinten anzustellen.
    „Clarissa, ich bin unterwegs. Alles wird gut.“

Kapitel 24

    E r jagte durch die Regennacht . Die Welt war wieder zu Anthrazit und Silber geworden. Der Geruch nach menschlicher Behausung war fast überwältigend, doch mit der Zeit nahm er ab. In den hintersten Ecken seines Geistes wusste er, dass es falsch war, seiner Wildheit die Zügel freizugeben, nur um schneller und zielgerichteter jagen zu können.
    Doch die Geschwindigkeit und die Gier des Jägers hielten ihn im Griff wie zu wilde Lust. Er wusste nicht, wie lange sein Gewissen noch gegen die Übermacht roher Natur ankämpfen konnte. Sein ganzes Leben hatte er gegen den Fluch gekämpft, der ihm Freiheit vorgaukelte, wenn er sich einfach nur der Wildheit ergab. Er hatte gelernt, seinen Körper und seinen Geist im Zaum zu halten, sorgsam zu planen, sich abzuschotten und Gefahr zu vermeiden – die Gefahr, die er selbst anderen war und nicht sein wollte. Solange er vorsichtig war, war alles in bester Ordnung. Nichts von alldem hier musste geschehen.
    Schließlich war er ein Mensch.
    Er wurde langsamer, hatte plötzlich Angst, sich in seiner anderen Seite zu verlieren. Er wusste allzu gut, was geschehen würde, wenn er nachgab – was in der Tat bereits geschehen war. Einmal. Seine Schuld war ihm stets bewusst.
    Die Alte hatte ihm etwas zu trinken gegeben, Kräutertee. Er hatte ihn aus Höflichkeit getrunken, weil er die arme Kreatur, die von den meisten Dörflern gemieden wurde, nicht beleidigen wollte. Die Bauern in dieser Gegend waren abergläubisch. Sie missachteten die alte Kath mindestens so sehr, wie sie sie fürchteten. Weder das eine noch das andere Gefühl fußte auf irgendwelchen Fakten. Sie hatte ihnen nichts getan; tatsächlich half sie gerne, und wenn ihr Betragen auch so eigentümlich war wie ihr Geruch, konnte man beides doch auf Einsamkeit, Unbildung und Armut zurückführen.
    Er hatte sie keinesfalls umbringen wollen.
    Der plötzliche Schock einer allzu deutlichen Erinnerung ließ ihn innehalten. Er war auf dem Weg nach Norden, und bald würde er sich etwas ostwärts wenden. Er war sich sicher, dass Fräulein Vanholst nicht genau wusste, wohin sie eigentlich wollte. In dem Fall würde Rufus, sein Pferd, sie vermutlich in die Richtung tragen, in der er zu Hause war.
    Er richtete sich langsam auf. Jedes Gelenk in seinem Körper krachte. Seine Sicht verschwamm in dem Bemühen, wieder ganz er selbst zu werden.
    Seine Knie waren immer noch krumm; noch stand er nach vorn gebeugt, als ob seine Wirbelsäule zu gerader Haltung nicht fähig wäre. Seine Arme hielt er am Körper angewinkelt, seine Hände hingen lose herunter. Er war die Karikatur eines Menschen.
    Als ihm dies bewusst wurde, heulte er plötzlich auf. Das Geheul hallte von den Bäumen wider und verlor sich im Unterholz. Seine eigenen Haare standen ihm zu Berge, als er sich hörte.
    Seine Beine zitterten vor Anstrengung – es war schwierig, zweibeinig aufrecht zu stehen. Doch anstatt wieder auf alle viere zu fallen, ließ er sich auf die Knie sinken und faltete die

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