Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Er hatte das Unverzeihliche getan. Er hatte sich verwandelt, war durch den Wald gejagt, durchdrungen von Gefühlen, die wild waren und gänzlich unzivilisiert.
Und gefährlich.
Immerhin, dieses Kind schien überlebt zu haben. Das Geißlein im Uhrkasten?
Er blinzelte und sah sich in der kleinen Stube mit Küche um, in der er geschlafen hatte. Ein dunkles Holzhaus, er kannte die Bauweise. Außer diesem Raum würde es noch eine winzige Kammer dahinter geben, in der die Häusler schliefen. Der Rest vom Haus war nur ein schmaler Korridor, der nach hinten zum Stall führte, in dem es eine, höchstens zwei Ziegen gab. Ärmliche Lebensumstände, aber nicht außergewöhnlich.
Jemand hatte seinen Mantel zum Trocknen aufgehängt, ebenso seinen Rock und sein Hemd. Die Kleidung, die er noch trug, war immer noch ein wenig feucht. Kein Wunder, dass ihm kalt war. Zugedeckt hatte man ihn mit einer Lumpendecke.
„Wo sind denn deine Eltern?“, fragte er das Mädchen, das vor ihm zurückwich, als er es direkt anblickte.
„Weiß nicht.“ Es drehte sich nervös, und versuchte, ihm nicht in die Augen zu sehen. War etwa was mit seinen Augen?
War etwa was mit ihren Eltern?
Ihm wurde klar, dass ihr verstörtes Verhalten darauf zurückzuführen war, dass er ein Fremder war und außerdem unzureichend bekleidet. Wenn er wirklich etwas Schreckliches getan hätte, dann würde sie sicher nicht hier stehen und danach fragen, wie reich er sei.
Im Vergleich zu diesen Leuten war er Krösus.
Die Tür zum hinteren Zimmer öffnete sich, und eine Frau mittleren Alters trat ein. Sie trug ein abgetragenes Arbeitskleid mit Schürze. Sie wandte ihren Blick von seiner unzulänglichen Bekleidung ab, und er wickelte sich in die Lumpendecke ein und erhob sich.
„Gute Frau, ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft.“
Sie nickte.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte sie. „Sie haben so … verloren gewirkt gestern Abend.“
„Mir geht es gut. Und ich habe Ihnen dafür zu danken.“
Sie hob sein Hemd von einem Schemel auf.
„Ist trocken“, sagte sie.
„Dankeschön!“
Er nahm das Hemd, und sie wandte sich ab, als er sich ankleidete.
„Mein Mann ist ins Dorf gegangen. Er versucht einen Wagen für Sie zu bekommen. Hochwürden Kreindl hat einen.“
Einen Wagen? Das war eine prächtige Idee. Freilich würde nun seine Geschichte die Runde machen. Dass man dem reichen Herrn von Rosberg das Pferd unterm Hintern fortgestohlen hatte. Dass er um eine Herberge betteln und bei armen Häuslern übernachten musste.
„Das ist sehr gut. Haben Sie vielleicht Schreibzeug da?“
Hatten sie nicht. Es wunderte ihn auch nicht. Vermutlich kein Haushalt, in dem Lesen und Schreiben üblich war.
Er griff sich in die Jackentasche. Das Geld war noch da. Er nahm einen Geldschein heraus. Die Augen der Frau wurden groß und rund. Vermutlich hatte sie Geld immer nur in Münzenform erlebt.
„Hier. Bitte nehmen Sie das. Für Ihre Hilfe. Wenn ich zu Hause angekommen bin, schreibe ich Ihnen eine Genehmigung, damit Sie sich mehr Holz holen können. Für den Herd.“
Sie blickte ihn erschrocken an.
„War Ihnen kalt, Herr?“
„Nicht so kalt, wie es mir draußen im Wald gewesen wäre.“
Er hielt ihr den Geldschein entgegen, und sie nahm ihn zögernd an, betrachtete ihn eine Weile und blickte ihm dann direkt in die Augen.
„Das ist schon viel Geld …“
„Mein Leben ist mir auch einiges wert. Ich mag diese Nacht überlebt haben, weil Sie hier waren.“
Sie nickte.
„Vielleicht.“ Dann blickte sie ihn misstrauisch an. „Sie haben schon … komisch ausgesehen, gestern. Als ob … es Ihnen gar nicht gut ging.“
Er nickte. Komisch? Sie meinte beängstigend.
„Beraubt zu werden ist nicht schön. Und verprügelt.“
„Sie sahen eher so aus …“
„Ich sah vermutlich richtig wütend aus. Ich fürchte, mein Gesichtsausdruck lässt zu wünschen übrig, wenn ich sehr ärgerlich bin. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Angst eingejagt habe.“
„Das haben Sie schon.“
„Verständlich. Ich war aber auch sehr zornig. Das war mein Lieblingspferd. Wenn ich diesen Dieb erwische …“
Wenn er diese Diebin erwischte, tat er gut daran, sich besser zusammenzunehmen. Einen Moment lang stellte er sich vor, wie er die blonde Gouvernante bei den Schultern nahm und sie schüttelte, bis …
„Ich habe einen Reiter gehört – kurz bevor Sie kamen. Ich dachte noch, dass es schon arg seltsam war, bei so einem Wetter unterwegs zu sein.“
Das konnte natürlich jeder
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