Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
gewesen sein, doch er hätte sein Hemd verwettet, dass es Fräulein Vanholst gewesen war. So nah. Der Gedanke, dass sie möglicherweise nur ein paar Hundert Me ter weit weg war, nagte an ihm. Er wollte sie stellen und fangen.
Vielleicht war es ja gut gewesen, dass er sie nicht letzte Nacht getroffen hatte.
Die Frau wandte sich dem Herd zu, kniete davor und begann darin herumzufuhrwerken, um Feuer zu machen. Wärme. Ihm wurde klar, in welchem Luxus er normalerweise lebte. In seinem Haus war es immer warm. Er nahm sich seine Krawatte und versuchte, sie ohne Spiegel zu binden. Das kleine Mädchen sah ihm mit großen Augen dabei zu.
„Wie heiß du?“, fragte er.
„Bonadea Schnaderer. Aber Hochwürden Kreindl sagt, dass ich zur Heiligen Kommunion einen neuen Namen kriege. Weil Bonadea kein guter Christenname ist.“
Richard unterdrückte ein Grinsen. Fromme Dorfpfarrer mochten wohl schon ein Problem mit Kindern haben, die man „die gute Göttin“ getauft hatte. Jedenfalls war es schon ein sehr ausgefallener Name für das Kind einer Holzhackerfamilie. Fast schon ein wenig lächerlich.
Die Frau wandte sich um.
„Ihre Patin hat ihr den Namen gegeben. Die ist immer komisch gewesen. Warum soll man einem Kind einen solchen Namen geben – es hat ja dann gar keinen Schutzheiligen und keinen Namenstag. Kath – Gott hab sie selig – hätte nie einen so unchristlichen Namen aussuchen dürfen. Vielleicht haben Sie ja von ihr gehört? Wölfe haben sie umgebracht vor ein paar Jahren.“
Richard setzte sich schwer nieder. Sein Humor hatte ihn verlassen, und sein Gewissen schnürte ihm die Kehle zusammen.
„Das tut mir sehr leid“, presste er schließlich mühsam hervor.
„Sie können ja nichts dafür. Der Wald ist wild. Sie hat weitab vom Dorf allein gelebt. Deshalb wollte ich gestern Abend auch nicht die Tür aufmachen. Tut mir leid. Aber man weiß ja nie …“
Man wusste ja nie. Da hatte sie verdammt recht. Er hoffte und betete – falls der Allmächtige ihm überhaupt noch zuhörte – dass der Mann dieser Frau bald mit einem Gefährt kommen würde.
Allerdings würde er dann auch das wärmende Feuer verlassen müssen. Zu hoffen, dass diese Menschen ihm ein Frühstück bereiten könnten, war illusorisch.
Als ob die Frau seine Gedanken gelesen hätte, wandte sie sich einem kleinen Schränkchen zu und zog etwas hervor. Ein halber Laib Brot lag alsbald auf dem Tisch.
„Sie sind wahrscheinlich was viel Besseres gewöhnt …“, sagte sie entschuldigend.
Er sollte ihnen vermutlich nicht ihr bisschen Brot wegessen. Aber vermutlich würde er sich besser – und normaler – fühlen, wenn er erst etwas im Magen hatte.
„Ich danken Ihnen, Frau Schnaderer.“
Er nahm Platz, und das kleine Mädchen setzte sich neben ihn. Es starrte auf seine Hände, die nun eine dicke Brotscheibe hielten. Er begriff, dass er etwas aß, das auch zu ihrem Mahl gehört hätte. Er brach ein großes Stück ab und gab es ihr. Sie wurde rot vor Freude und stopfte es ganz schnell in den Mund, sodass es schon verschwunden war, bevor ihre Mutter noch Gelegenheit hatte, sie dabei zu sehen.
„Ist dir nicht kalt?“, fragte er, um irgendetwas zu sagen. Er war Konversation mit Kindern nicht gewöhnt.
„Nein.“
„Das heißt: ,Nein, gnä’ Herr ‘ “, korrigierte ihre Mutter sie.
Er biss in das Brot. Es war schon ein wenig hart, schmeckte aber gut.
Das Mädchen blickte zu Boden. Doch es bewegte sich nicht fort. Offenbar mochte es ihn, kleines, dürres Dingelchen, das es war.
„Und gehst du denn zur Schule, Bonadea?“, fragte er, als die Stille drückend wurde.
Sie zuckte mit der Schulter.
„Schon manchmal.“
„Macht dir die Schule keinen Spaß?“
„Nein.“
Wenigstens war sie ehrlich. „Aber du musst in die Schule gehen. Jeder muss was lernen.“
„Sagen Sie’s ihr ruhig, gnä’ Herr!“, sagte die Mutter, während sie einen Eimer ergriff, um draußen Wasser zu holen.
„Ich lern schon was“, flüsterte das Kind und gab Acht, dass seine Mutter es nicht hörte. „Meine Patentante bringt mir Sachen bei.“
„Ich dachte, sie wäre gestorben?“, fragte Richard.
Die Kleine zuckte mit den Achseln und grinste schüchtern. Dann sprang sie auf und rannte in die andere Kammer.
„Sie wollten Papier“, rief sie. „Ich habe schon Papier für Sie. Das gehört Ihnen.“ Er hörte, wie sie hinten herumkramte. Ein seltsames Kind. Was meinte sie nur damit, dass sie Dinge von ihrer verstorbenen Patin lernte?
„Sagen Sie es
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