Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Leichenschmaus. Danach stellt man sie draußen auf, damit sie verrotten. So lange die Totenbretter noch da sind, sind die Toten auch noch nicht ganz weg. Hochwürden Kreindl sagt aber, dass das gar nicht stimmt. Er sagt, das ist alles Aberglaube.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Er mag mich nicht.“
Es war vermutlich eine nicht unerhebliche Aufgabe für einen Pfarrer, den örtlichen Aberglauben in dieser abgelegenen Gegend zu bekämpfen. In einem Landstrich, in dem Raben junge Mädchen entführten, unheimliche Männer aus dem Nichts erschienen, Zauberer Duelle fochten und Gespenster einen noch vor dem Frühstück besuchten, war es vermutlich ein ziemlich unlösbares Bestreben.
„Das hier gehört meiner Patin“, sagte Bonadea und legte ihre Hand flach auf die Oberfläche.
Wie still es in diesem Wald war! Sie spürte, wie sich ihr die Haare zu Berge stellten. Es wurde kälter.
Das Kind hüpfte von dem Brett fort, als hätte es jemand geschlagen. Es sah verunsichert aus.
Konstanze fragte nicht, ob die Kleine denn irgendetwas hatte herausfinden können. Dies war reiner Unsinn. Sie spielte ihr sicher nur einen Streich.
Bonadea wandte sich zu ihr um.
„Ich glaube nicht, dass sie möchte, dass du es weißt“, sagte sie ein wenig ungehalten.
Konstanze wollte gar nicht wissen, von wem sie sprach.
Sie berührte das Brett, und ein seltsames Gefühl durchdrang sie, als ob sie etwas wiedererkannte. Sie wich zurück und wandte sich um. Bonadea war schon wieder fast im Gestrüpp verschwunden.
„Wo ist es? Das Bauernhaus?“, fragte Konstanze und verbat sich jeden vernünftigen Gedanken zu ihrer eigenen Frage. Wieso hatte sie plötzlich dieses Bild vor Augen? „Ist es weit?“
„Nicht so weit“, sagte das Mädchen. „Der Mayerhof ist nah. Die Straße runter und im nächsten Tal.“
„Und da gibt es Bauern?“
„Nein. Die sind alle nach Amerika gegangen. Vater sagt, wir gehen jetzt auch nach Amerika, weil man dort gute Arbeit kriegt und reich wird. Aber ich will da nicht hin. Er sagt, wir gehen, sobald wir Geld für die Fahrt haben.“ Sie wirkte unglücklich.
Konstanzes Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum. Die Pläne von Bonadeas Eltern waren ganz und gar nicht ihre Angelegenheit. Und Totenbretter anzufassen, auf denen Leichen gelegen hatten, war ziemlich eklig – ganz egal, ob das hier Brauch war.
Im Übrigen hatte sie so gar keine Lust, jenen Klerikern nochmals zu begegnen. Wenn sie wirklich ein Stück weiter die Straße entlang zu finden waren – und es gab so gar keinen Grund, das wirklich anzunehmen –, sollte sie besser gleich umdrehen und in die entgegengesetzte Richtung reiten. Und zwar schnell.
Mit schmerzenden Gliedern erklomm Konstanze wieder Rosinante. Schrecklich, wie hoch dieses Tier war!
Sie nahm die nutzlose Feder wieder zur Hand. Das einzig Vernünftige wäre jetzt, umzudrehen und ein Dorf zu finden. Und ortskundige Hilfe. Keiner konnte von ihr verlangen, dass sie alle Aufgaben ganz allein bewältigte. Ein Kind war entführt worden. Herr von Rosberg war immerhin ein großer, starker Mann und gehörte vermutlich zu den Honoratioren der Gegend. Er würde auch ohne sie einen Ausweg finden.
Rosinante hielt an, und Konstanze betrachtete den schmalen Weg misstrauisch. Vorwärts oder rückwärts?
Das Pferd traf schließlich die Entscheidung.
Kapitel 28
T heodor Gütze saß an dem rohen Holztisch der Gaststube und haderte mit sich. Hadern war nicht seine Spezialität, denn gemeinhin war er überzeugt von dem, was er tat. Zweifel fochten ihn nie an. Er wusste, was er wollte und tat, was dazu nötig war.
Allerdings neigte er bisweilen zu einer gewissen Spontaneität – vor allem, wenn es um Frauen ging – doch meist folgte er dem Lichtschein des persönlichen Vorteils und war damit nie schlecht gefahren, wenn man von der Pleite in Berlin einmal absah.
Das Hurenhaus hatte er lange schon haben wollen. Er mochte Frauen. Sie waren weich, schwach und zu Willen. Mehr konnte man sich nicht wünschen. Die Bordellwirtin hatte sich freilich als recht hart und resistent erwiesen, doch nun war sie aus dem Weg geräumt, und das Durcheinander des Abends sowie ein paar Worte in die richtigen Ohren würden dafür sorgen, dass man nicht nach ihm suchte, sondern nach einem der anderen Beteiligten.
Nur, was tat er hier in diesem Hinterwäldlerdorf? Was hatte ihn veranlasst, noch in der Nacht sein Pferd zu satteln und in das ökonomisch gänzlich uninteressante nordöstliche Hinterland Passaus
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