Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
gefesselten Hände nach oben zu schieben, um mehr Raum zum Atmen zu bekommen.
„Siehst du, Weib“, sagte der Mönch, dem die Bewegung nicht verborgen geblieben war. „Dein Schicksal liegt in deinen eigenen Händen. Denk an deine Fingernägel und den Schmerz und den Verlust deiner Gliedmaßen – obwohl dein Leben als Krüppel nur von kurzer Dauer sein würde. Wir müssen geschwind arbeiten. Und du musst dich geschwind entscheiden, auf welcher Seite du sein willst, der des Teufels oder unserer.“
Von draußen erschallte ein ohrenbetäubender Knall und ließ die Luft erzittern. Zuerst glaubte Konstanze, dies sei nur ein neues Kapitel ihrer Folter. Dann begriff sie, dass das Pulver explodiert war.
Einen Augenblick später spürte sie das Gewicht des Mönchs nicht mehr auf ihr. Sie schielte nach oben. Da stand er, zerrissen zwischen dem Wunsch, sie zu bestrafen, und zu seinen Brüdern zu laufen, um nach ihnen zu sehen. Er hatte wohl verstanden, dass, was immer eben geschehen war, mit ihr zu tun hatte.
Wenn er jetzt wegrannte, würde es ihr gelingen zu flüchten? Allerdings würde sie mit einem Strick um den Hals und dem Kopf im Nacken und mit gefesselten Händen nicht sehr weit kommen. Sie mochte ihr Pferd erreichen. Doch aufsteigen konnte sie so nicht. Auch nicht reiten.
Nun schien er sich entschieden zu haben. Ein Tritt gegen ihren Kopf, und Schmerz durchfuhr sie erneut. Die Welt verschwamm.
Sie kam zu sich durch ihr eigenes Ringen um Luft. Wie lange war sie außer Gefecht gewesen? Momente nur? Länger? Sie lag noch immer auf dem kalten Boden und war verschnürt wie ein Paket. Von draußen konnte man Schreien und Schimpfen vernehmen. Jemand rannte. Kam er oder ging er?
Ein riesiger Wolf raste um die Ecke in den Schuppen, schleuderte fast in der Kurve. War das wirklich ein Wolf? Sie hatte noch nie einen von Nahem gesehen, doch sie hatte sie sich kleiner vorgestellt. Dass sie groß genug waren, um sechs Geißlein auf einmal und eine ganze Großmutter dazu zu verschlingen, hatte sie bislang nicht geglaubt.
Dieser hier sah aus, als würde er genau das jetzt gerne tun. Er blieb stehen, als er sie auf dem Boden liegen sah, und sie wimmerte vor Furcht und versuchte, wie eine Raupe auf dem Bauch davonzukriechen.
Doch das war sinnlos. Sie konnte sich nicht bewegen, und die Bestie brauchte nur einen Sprung, um sie zu erreichen. Ihr zottiges Fell sah fast mehr aus wie alter Filz als wie ein Pelz. Die Tatzen waren gigantisch. Die Klauen unglaublich.
So nah. Die Schnauze berührte ihren Nacken. Fänge kratzten über ihre Haut, verweilten an ihrer Halswirbelsäule. Nun würde das Tier zubeißen.
Sie bereitete sich auf den Schmerz vor und versuchte, ihren Kopf zu drehen, doch das war kaum möglich. Das Tier zuckte ein wenig zurück. Sie konnte seinen Kopf nun direkt neben ihr ausmachen, Nase an Nase, Auge neben Auge. Es hatte blaue Augen, die so hell waren, dass sie fast silbrig schimmerten. Seine Reißzähne ragten aus dem Maul hervor.
Es blickte direkt in ihre Augen, betrachtete sie verwirrt. Wut lag in seinem Blick, doch auch Schmerz. Beides schien zielgerichtet auf sie. Das Tier hasste sie.
Die Bestie würde es sich nicht entgehen lassen, sie zu fressen.
Sie versuchte, dem Tier etwas zuzuflüstern, doch sie vermochte es nicht. Und was sollte man einem wilden Raubtier schon sagen?
Das Tier kroch noch näher. Gigantische Klauen lagen schwer auf ihrem Rücken. Sie fühlte, wie es seinen Kopf bewegte, hörte das Klacken von Zähnen. Sie schluchzte auf.
Dann gab der Strick nach. Es hatte ihn durchgebissen. Der Zug wich von ihrer Kehle. Ihre Hände waren frei, trugen Reste des Stricks nur noch wie zwei Armbänder. Sie rollte sich panisch herum, schob sich auf dem Hintern rückwärts, immer weiter zurück, bis sie auf die Holzwand hinter sich traf. Aufstehen war ihr nicht möglich. In ihren Beinen schien keine Kraft mehr zu sein. Der Wolf kam ihr nach, betrachtete sie, schob sein Maul ihrem Gesicht entgegen. Speichel troff von den Lefzen. Er knurrte. Er hatte Hunger.
Sie konnte sich nicht bewegen. Jeder Muskel in ihrem Körper war wie zu Eis gefroren vor Schock. Sie betete lautlos.
Dann schnappte er nach ihrem Mantel, zog daran. Er schien noch darüber nachzudenken, was mit ihr zu tun war. Die Ernsthaftigkeit seines Blickes war zutiefst erschreckend.
„Braver Hund“, flüsterte sie schüchtern. „Sitz!“
Er setzte sich nicht. Stattdessen wirbelte er herum und sprang den Mönch an, als dieser um die Ecke kam,
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