Schwur der Sünderin
mitgeschleift worden war, hatte er nicht nur stets Schmerzen im Arm, sondern es plagten ihn auch oft heftige Kopfschmerzen; besonders,
wenn das Wetter schwül war oder ihn unangenehme Gedanken beschäftigten – so wie heute.
Jakob bückte sich, um die überschüssigen Bänder und seine Wasserflasche aufzunehmen, da er zum Hof gehen wollte. Doch dann überlegte er es sich anders und setzte sich in den Schatten eines Apfelbaumes, stellte die Füße auf und stützte seinen Ellbogen auf die Kniescheiben. Mit den Händen umfasste er seinen Kopf und dachte: Ich habe es so satt! Alle Verantwortung, Probleme und Entscheidungen lasten auf meinen Schultern. Warum musste unser Vater zu dieser Wallfahrt aufbrechen? Er hätte bleiben und auf seine Kinder warten müssen. Jetzt bin ich mit den Problemen allein und muss Entscheidungen treffen, von denen ich nicht weiß, ob sie richtig sind.
Jakob streckte sich auf der Koppel aus und zupfte wütend Gras aus dem Boden. »Auch wenn ich der Älteste und Hoferbe bin, so bin ich weder allwissend noch kann ich über das Leben meiner Geschwister bestimmen. Ist es falsch, wenn ich Peter von seinem Vorhaben abrate? Muss Anna Maria meine Zustimmung erbitten, wenn sie heiraten will?«, flüsterte Jakob leise aufstöhnend, als der Schmerz in seinem Kopf heftiger wurde. Seine Gedanken schweiften zu dem Tag, als der Vater ihm mitteilte, dass er fortgehen würde. Bei der Erinnerung spürte Jakob Groll in sich aufsteigen.
Es war spät gewesen, und die meisten Menschen auf dem Hofmeister-Hof schliefen. Jakob hingegen war seit Stunden in der Werkstatt beschäftigt und würde sich erst zur Ruhe begeben, wenn alle Sensen gedengelt waren, da am nächsten Tag das Gras geschnitten werden sollte. Jakob wollte diese Arbeit selbst verrichten, denn er wusste: Nur eine gute Schneide würde dafür sorgen, dass das Mähen schnell gelang.
Umsichtig klopfte er mit einem Hammer das Sensenblatt. Jakob
war so in seine Arbeit vertieft, dass er nicht bemerkte, wie sich das Tor der Werkstatt öffnete. Unerwartet stand der Vater vor ihm und begutachtete mit fachmännischem Blick die Sensen.
»Gute Arbeit«, lobte Hofmeister seinen Sohn, während er mit dem Zeigefinger über die scharfe Kante des Metallblatts strich. Erstaunt blickte Jakob ihn an. Ein Lob vom Vater war selten.
»Ich muss mit dir reden«, sagte der alte Hofmeister und nahm sich einen Schemel, der hinter ihm stand. Jakob legte Hammer und Sense zur Seite und sah seinen Vater erwartungsvoll an.
»Ich werde mich in den nächsten Tagen auf eine Pilgerreise begeben.« Mehr sagte der Alte nicht.
Jakob wusste nicht, was er antworten sollte, und schwieg. Nach einer Weile fragte der alte Hofmeister: »Hast du nichts zu sagen?«
Jakob überlegte, ob das eine Fangfrage sein könnte. Das Gesicht des Vaters verriet nichts von seinen Gedanken. »Was soll ich dazu sagen, Vater? Es ist dein Entschluss und sicher endgültig. Allerdings wäre es mir lieber, wenn du auf die Rückkehr von Peter, Matthias und Anna Maria warten würdest. Was ist, wenn ihnen etwas zugestoßen ist? Auch ist die Feldarbeit noch nicht erledigt, und tagtäglich kommen Kälber auf die Welt.«
Daniel Hofmeister machte eine ärgerliche Handbewegung, als ob er Jakobs Bedenken fortwischen wollte. »Jammere nicht!«, raunzte der Vater. »Du bist alt und erfahren genug, dass du den Hof ohne mich bewirtschaften kannst. Sarah ist eine tüchtige Frau, die dich dabei unterstützen wird.« Hofmeister blickte den Sohn herausfordernd an.
Jakobs Augen funkelten böse, weil er aus dem Tonfall des Vaters zu hören glaubte, dass der Alte Sarahs Namen abfällig aussprach.
Er wollte ihm widersprechen, doch bevor er den Mund aufmachen
konnte, erklärte der Vater weiter: »Auch verlange ich, dass ihr euch um Nikolaus kümmert. Der Junge braucht eine strenge Hand, damit er nicht übermütig wird.« Hofmeister hatte die Finger gefaltet und rieb die Handflächen aneinander, sodass sein silberner Ring im Schein des Talglichts glänzte. »Was Anna Maria, Peter und Matthias betrifft«, fuhr er fort, »bin ich überzeugt, dass unser Herrgott über sie wachen und sie sicher nach Hause geleiten wird. Ich muss meinen Weg gehen, denn meine Jahre sind gezählt. Wenn ich jetzt nicht pilgere, dann nie mehr.«
Jakob erwog, dass sein Vater sich auf Wallfahrt begeben wollte, damit er von seinen Sünden befreit werden würde.
»Vater, du hast uns erzählt, Martin Luther predige, dass allein durch die Gnade Jesu unsere
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