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Schwur der Sünderin

Schwur der Sünderin

Titel: Schwur der Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Zinßmeister
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gezeichnet hatte, und musste schmunzeln. Nur er wusste, dass sich unter dem Baumbild eine weitere Zeichnung verbarg, die Anna Maria hatte übermalen müssen.
    Veit musste gestehen, dass er schon damals von Anna Marias künstlerischer Begabung beeindruckt gewesen war. Mit einem Kohlestück hatte sie nicht nur die Wölfe, sondern auch ihn als Wolfsmenschen genauso abgebildet, wie er zu jener Zeit ausgesehen
hatte. Der Wolfspelzumhang, das lange zottelige Haar, das ihm bis über den Rücken fiel, und der verfilzte Bart, in dem sich kleine Zweige verfangen hatten, gaben ihm ein grimmiges Aussehen, das Anna Maria gekonnt auf der Zeichnung wiedergab.
    Veit erinnerte sich genau an die unterschiedlichen Gefühle, die in ihm getobt hatten, als er sich auf der Zeichnung wiedererkannte. Zuerst war ihm zum Lachen zumute gewesen, doch dann hatte er sich geschämt. Was ist aus dem stolzen Landsknecht geworden?, hatte er damals bekümmert gedacht. Da Veit sich zu jener Zeit für ein Leben unter und mit den Wölfen entschieden hatte, ließ er diese Gefühle nur kurz zu und schimpfte stattdessen mit Anna Maria, dass man den Wolfsmenschen dank ihrer Zeichnung nun erkennen könne. Daraufhin hatte Anna Maria das Bild übermalt, so dass aus dem Wolfsbanner ein Baum entstand.
    Bei den Gedanken an Anna Maria spürte Veit, wie ihn Sehnsucht überkam. Er blickte das schlafende Rudel an und murmelte: »Drei Tage werde ich mit euch jagen, damit ihr euch an eure neue Umgebung gewöhnt. Danach werde ich nach Hause gehen.«
    Zufrieden mit seiner Entscheidung legte er sich auf das Schafsfell und schloss die Augen. Anna Marias Gesicht war das letzte Bild, das er sah, bevor er einschlief.

    »Bist du krank?«, fragte der Wirt im Gasthaus zu Katzweiler.
    Erschrocken blickte Nehmenich auf. »Wie kommst du darauf?« , fragte er rüde.
    »Du rührst dein Bier nicht an«, erklärte der alte Christmann und wies mit dem Kinn zum Krug. »Seit du hier sitzt, hast du noch nichts getrunken.«
    »Wirklich?«, fragte Nehmenich und schlürfte einen kleinen Schluck. »Heute will es mir wahrhaftig nicht schmecken«, erklärte
er und legte eine Münze auf den Tisch. »Ich werde nach Hause gehen«, sagte er abrupt und verließ das Wirtshaus.
    Der Wirt blickte ihm kopfschüttelnd hinterher. Als er das Geld vom Tisch aufnahm, lästerte er: »Da ist mir der Trunkenbold Nehmenich doch lieber.«
    Draußen war es kalt, und Nehmenich zitterte in seiner abgewetzten Kleidung. Doch die Gedanken, die ihn seit Tagen beschäftigten, erhitzten sein Gemüt und ließen ihn die Kälte nicht spüren.
    »Verdammt«, fluchte er, »endlich habe ich die Gelegenheit, die Hofmeisters büßen zu lassen, und da schlottern mir vor Angst die Knie.«
    Nehmenich blickte zum Himmel, wo der Wind die Wolken wie eine Herde Schafe vor sich hertrieb. Bald wird es dunkel werden, dachte er und ging schneller.
    Als er in seiner Hütte ankam, blies ein scharfer Wind über den freien Acker. Er ging hinein und stellte sich mit dem Rücken vor den kleinen Ofen, in dem brennendes Holz knisterte. Seine Frau schaute nur kurz zu ihm auf und schnippelte dann das Gemüse weiter. Auch Susanna beachtete den Vater kaum. Sie ließ geschwind Faden und Nadel hin und her fliegen, damit sie die Flickwäsche der Nachbarschaft fertigbekam, um einige Pfennige zu verdienen.
    Mit finsterem Blick sah Nehmenich sich in seiner Behausung um und glaubte zum ersten Mal in seinem Leben die Armut zu bemerken, in der er lebte.
    Der Wind pfiff durch alle Ritzen, sodass es im Haus trotz des Feuers kühl war. Die Eingangstür hing schief in den Angeln, und mit jedem Windzug klapperte sie im Rahmen und ließ die Kälte herein.
    Im hinteren Teil der Hütte drang aus den Matratzen der modrige Geruch des vergammelten Heus und stank bis in den Wohnraum hinein. »Selbst dafür ist kein Geld da«, haderte
Nehmenich mit seinem Schicksal. »Wir schuften und schuften und können uns nicht mal Speck für die Suppe leisten.« Grimmig blickte er zu seiner Frau, die die alltägliche dünne Kohlsuppe kochte, die weder Geschmack hatte noch satt machte.
    Die Tür wurde aufgestoßen, und sein Sohn Johannes betrat die Hütte. Bevor er die Tür wieder schließen konnte, wehten trockenes Laub und kleine Äste herein.
    »Schließ die Tür!«, brüllte Nehmenich den Knaben an.
    Doch die Wärme in der Hütte war bereits entwichen und hatte der Kälte Platz gemacht.
    Als Johannes den Vater erblickte, zuckte er zusammen, und seine Hand, die einen Krug mit

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