Schwur der Sünderin
Landsknecht galt. Johann von Razdorf war der Vertraute des Ritters und jemand, den Ullein beneidete und zugleich verachtete.
Nach dem Tod des Ritters mehr als zwei Jahre zuvor hatte sich das Heer aufgelöst, und Ullein suchte einen neuen Herrn, dem er genauso leidenschaftlich dienen konnte wie einst dem Reichsritter. Doch keiner war in Ulleins Augen so edel wie Franz von Sickingen.
Als Ullein die Nachricht seiner Schwester ereilte, dass er nach Hause kommen sollte, war er trotz der traurigen Botschaft froh gewesen. Schon länger überlegte er, das Heer zu verlassen, denn die Ritterstände hatten sich verändert. Da ihnen das Geld für
große Kämpfe fehlte, wurden die Heere verkleinert. Viele Soldaten lungerten auf den Burgen herum, statt in Schlachten zu ziehen.
Ullein hatte die Vorstellung gefallen, eine Zeitlang die Pflichten seines Vaters zu übernehmen. Mittlerweile aber langweilte er sich, da nichts Aufregendes auf dem Land geschah und Ullein nirgendwo gebraucht wurde. Da der Vater noch lebte, konnte er nicht wieder fort. In Gedanken fluchte er darüber, dass ihm kein Grund einfiel, seiner Schwester zu erklären, warum er wieder weg wollte.
»Das Sterben des Alten dauert einfach zu lange«, murrte Ullein und schaute den Vater mitleidig an. »Der Förster des Grundherrn – mein Vater, der schwache Menschen stets verhöhnte – liegt hilflos in seinem Bett und kann sich nicht mehr den Hintern abwischen«, spottete er leise und schüttelte den Kopf. »Nennt man das Gerechtigkeit?« Ullein beugte sich nach vorn, um den Kopf seines Vaters genauer betrachten zu können. Er glaubte zu erkennen, dass der Schädel des Alten sich verformt hatte und Beulen an der Seite sichtbar waren, die er zuvor noch nicht bemerkt hatte.
»Vielleicht hat Ellenfangen Recht«, murmelte Ullein und setzte sich auf.
Nachdem der Mediziner seinen Vater sorgfältig untersucht hatte, vermutete der Arzt, dass eine Geschwulst im Kopf des Kranken wuchs, die sein Gehirn langsam zerquetschte.
»Um Genaueres sagen zu können, müssten wir seine Schädeldecke aufbohren«, hatte der Arzt den Geschwistern erklärt. Ulleins Schwester war heulend aus dem Zimmer gerannt. Da der Doktor aber nach der Schädelöffnung keine Heilung versprechen konnte, verzichtete Ullein darauf.
»So müsst Ihr abwarten, bis Euer Vater das Zeitliche segnen wird. Ich kann nichts weiter für ihn tun«, erklärte der Arzt mit mühsam unterdrücktem Ärger, da man ihm den Eingriff verweigerte.
Nachdem Ullein ihm einige Geldstücke in die Hand gedrückt hatte, überließ Ellenfangen ihm ein kleines Gefäß mit Betäubungsmittel. Ullein sollte dem Vater das Mittel ins Wasser tröpfeln, damit dieser die Schmerzen nicht spürte.
Man müsste ihm die gesamte Medizin auf einmal verabreichen, damit der Tod schneller eintritt, dachte Ullein. Immer, wenn er dem Alten zu trinken gab und der ihn wie ein Hund anknurrte, konnte er diesen Gedanken nicht unterdrücken. Dann glaubte er einen bitterbösen Blick im Gesicht des Alten zu erkennen, mit dem der Vater ihn bis in den Schlaf verfolgte.
Ulleins Vater bewegte das Bein, sodass die Decke verrutschte und schwarze Stellen an seinen Füßen sichtbar wurden, an denen das Fleisch abgestorben war. Als sich süßlicher Geruch penetrant im Raum ausbreitete, rümpfte Ullein die Nase. Er hatte viele Menschen getötet und noch mehr beim Sterben zugesehen. Zerfetzte Leiber und schreiende Menschen gehörten zum Kampf und machten ihm nichts aus. Doch was Ullein hier sah, ekelte ihn. Er griff widerwillig nach der Decke und bedeckte damit die Beine seines Vaters.
Ullein hatte sich gerade wieder auf den Stuhl gesetzt, als seine Schwester Agnes ins Zimmer trat.
»Unten wartet ein Bäuerlein auf dich«, sagte sie hochnäsig und blickte bekümmert den kranken Vater an.
»Was will der Bauer?«
»Hast du ihm zu trinken gegeben?«, fragte Agnes ungehalten und überhörte seine Frage.
»Er will nicht schlucken«, sagte Ullein, was seine Schwester nicht glaubte. Agnes griff den Becher mit Wasser und hielt ihn dem Vater an die Lippen. Gierig trank der Alte, ohne sie anzuknurren oder anzufauchen. Als er genug hatte, blickte er die Tochter dankbar an.
»Selbst in der Stunde seines Todes bist du gehässig zu ihm«, raunzte Agnes ihrem Bruder zu.
Ullein konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Er ballte die Hände und verließ das Zimmer.
Nehmenich blickte sich in der Stube des Försters um. Die Möbel waren aus dickem Holz gearbeitet und standen
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