Schwur der Sünderin
zu spät! Die Hochzeitseinladungen sind ausgesprochen.«
Anna Maria konnte ihren Bruder verstehen, aber sie verstand auch Annabelle. Wenn sie sich vorstellte, dass man sie mit Veits Bruder Johann verheiraten würde, gruselte ihr. Zwar war ihr Bruder Peter ein angenehmerer Mensch, doch das sagte sie ihm nicht.
»Vielleicht solltest du dich mehr um Annabelle kümmern«, wagte Anna Maria leise vorzuschlagen. »Nicht nur, dass sie ihr vertrautes Heim und ihren Vater verlassen musste. Sie ist einsam in unserem Haus, das ihr ohne Matthias fremd ist«, versuchte sie ihren Bruder zu überzeugen.
Doch statt mit Verständnis zu reagieren, schimpfte Peter: »Matthias, immer nur Matthias. Ich kann diesen Namen nicht mehr hören.«
Anna Maria riss ihre Augen auf und fauchte: »Wage es nicht, den Namen unseres Bruders zu verdammen!«
Peter schien erst jetzt zu merken, was er gesagt hatte. Fassungslos flüsterte er: »Ich werde mit Annabelle sprechen und ihr sagen, dass Friedrich sie nach Mühlhausen zurückfahren wird.«
Schneeflocken fielen sanft auf die Erde. Unter der weißen Pracht schien alles sauber und friedlich. Auf dem Friedhof von Mehlbach herrschte tiefe Ruhe.
Annabelle stand dick eingemummt an Elisabeth Hofmeisters Grab und blickte zum grauen Himmel empor. Sie senkte ihren Kopf und blickte auf den Grabstein, auf dem nur der Name der Bäuerin zu lesen war, obwohl ihr Sohn neben ihr lag.
»Wie soll ich mich entscheiden?«, flüsterte Annabelle verzweifelt, als sich das Kind in ihr regte. Es trat so heftig gegen
ihren Bauch, dass es ihr den Atem verschlug und sie sich nach vorn beugte. Annabelle hechelte mehrmals ein und aus, bis der Krampf im Unterleib nachließ. Sie stellte sich aufrecht hin und rechnete nach. »Anfang Februar müsstest du zur Welt kommen. Wenn ich Peters Vorschlag annehmen würde, könnte ich ohne Sorge um dich nach Mühlhausen reisen.« Erneut blickte Annabelle zum Himmel und wisperte: »Ach, Matthias, wenn du mir doch raten könntest, was ich machen soll.«
Plötzlich legte sich eine Hand auf Annabelles Schulter. Anna Maria stand neben ihr und blickte sie freundlich an.
»Niemand kann dir raten, was du zu tun hast, Annabelle. Ich kann dir nur versprechen, dass du immer in unserer Familie willkommen bist und es dir und deinem Kind an nichts mangeln wird. Wäge ab, welches Leben du hier haben wirst und was dich in Mühlhausen erwartet. Nur du allein kannst entscheiden, wohin dein Weg dich führen wird.«
Annabelle blickte Anna Maria nachdenklich an. »Wie würdest du dich an meiner Stelle entscheiden?«
»Ich würde das Beste für mein Kind wollen.«
Kapitel 15
Ullein lag mehr in seinem Stuhl, als dass er saß. Seine Beine waren ausgestreckt, die Füße überkreuzt. Die Hände hatte er aneinandergepresst und die Fingerspitzen vor den Mund gelegt, um sein Kinn auf die Daumen aufstützen zu können. So saß er seit geraumer Zeit am Bett seines Vaters, der schwer krank darniederlag. Immer wieder stöhnte der Vater leise auf oder verzog vor Schmerzen das Gesicht.
Niemand hätte gedacht, dass sein Zustand sich so schnell verschlechtern würde, dachte Ullein mitleidlos.
Leichte Kopfschmerzen waren die ersten Anzeichen gewesen, dass es dem Vater nicht gutging, und selbst er hatte sie nicht ernst genommen. Aderlass und herkömmliche Arzneien halfen bald nicht mehr, der Zustand des Alten verschlechterte sich. Der stärker werdende Schmerz in seinem Kopf beeinträchtigte sein Leben, zu dem plötzliche Taumel und Ohnmachtsanfälle gehörten. Mittlerweile konnte er das Bett nicht mehr verlassen. Stefan, der herrische Förster des Grundherrn, ist zu einem Siechen geworden, höhnte Ullein in Gedanken.
Er räusperte sich leise und veränderte seine Sitzposition. Als die Krankheit sich beim Vater ankündigte, war er nicht zuhause gewesen, sondern diente verschiedenen Herren in kriegerischen Kämpfen. Schon in jungen Jahren hatte es Ullein in die Ferne gezogen, weil er in der Einöde nicht versauern wollte. Mehlbach, Katzweiler und selbst Kaiserslautern waren ihm zu eng geworden. Er wollte hinaus in die weite Welt und Seite an Seite mit großen Männern kämpfen. Sein Held war einst der Reichsritter Franz von Sickingen gewesen, den manch einer als Raubritter bezeichnete. Doch keiner wagte es, in Ulleins Gegenwart so über von Sickingen zu sprechen, da bekannt war, wie sehr er den Ritter verehrte. Zwar hatte der stolze Kämpfer ihn kaum wahrgenommen, da seine Aufmerksamkeit stets einem anderen
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