Schwur des Blutes
Finger und Lippen weiterhin auf der Haut. Sie prickelte vor Lust, ungeachtet der deprimierenden Stunden, die dazwischenlagen. Sam drehte den Wasserhahn auf und wusch sich das Gesicht. Es dürstete sie nach einer endlosen, heißen Dusche, aber sie wollte Amy nicht stören, um sie zu fragen, ob das in Ordnung ginge. Amy schien angespannt; hatte ihre eigenen Probleme.
Was tat sie hier eigentlich? Warum war sie nicht mit dem Taxi zu ihrem Hausboot gefahren? Nachdenklich löste sie ihr geflochtenes Haar. Sie hatte das ihr unbekannte Gefühl verspürt, mit jemandem reden zu wollen, ihr Herz auszuschütten und nicht allein zu sein. Sam schluckte. Das Bedürfnis, sich zu öffnen, war ihr so neu, dass es sie wie die starken Empfindungen, die sie für Timothy hegte, aus der Bahn warf. Sie hatte ihr Leben lang viel Mist gebaut, dennoch stets für ihr Handeln geradegestanden. Nun gab es einen Mann, der sich um sie sorgte … einen Vampir. Sam wusste, dass sie sich jämmerlich verhielt. Sie hätte ihm einfach sagen können, wovor sie sich erschreckt hatte. Dann hätten sie gelacht und alles wäre wunderbar gewesen. Stattdessen war sie eingeschlafen … oder hatte er sie beeinflusst? Betäubt? Seine Finger an ihrem Gesicht …
Sam zog die Jacke und das zerrissene Oberteil aus und wusch sich gründlich mit Seife. Mit einem neuen Zopf und ohne Schmutz im Gesicht sah sie besser aus, doch besser fühlte sie sich nicht. Mit jeder Minute wuchs der Klumpen in ihrem Magen. Ob es Timothy gut ging? Was er wohl tat, nachdem er sie ins Taxi gesetzt hatte? Sie besaß nicht einmal seine Telefonnummer. Kein Autokennzeichen, keine Adresse. Shit! Ihm wohnte alles inne, was sie sich von einem Mann wünschte. Und dass er ein Vampir war, brachte das Quäntchen Passion mit, das sie stets bei ihren Bekanntschaften vermisst hatte. Er konnte ihr mühelos die Stirn bieten, sagte ihr, wenn sie sich kindisch benahm, war sich aber auch nicht zu stolz, sie zu loben. Gott, sie verzehrte sich förmlich nach ihm. Ihr Körper zitterte vor Entzug und ihr Herz schmerzte. Keine Stunde getrennt und schon zog es sich zusammen wie eine schrumpelnde Weintraube. Himmel, gab es das? Dass man ohne die Liebe eines anderen austrocknete wie ein vom Baum gefallenes Blatt?
Wäre sie doch nicht so ein ungehobelter Klotz. Nicht so misstrauisch und egoistisch. Einfach ein wenig umgänglicher. Aber jemandem zu vertrauen, fiel ihr unendlich schwer. Es saß unbewusst zu tief, dass eine Frau, die sie mit dreieinhalb Jahren für ihre Mutter gehalten und die sie aus dem Heim geholt hatte, sie nach kurzer Zeit zurückbrachte. Umgetauscht wie schlechte Ware. Gott hatte sie geheult und gezetert, wochenlang. Seitdem hatte sie nie mehr geweint. Erst wieder in der Badewanne, vor einigen Tagen, als die Trauer um ihren Stiefbruder Chris sie übermannte und jetzt, jetzt war ihr nach Heulen, weil das Gefühl, schon wieder etwas Unwiederbringliches verloren zu haben, ihr das Herz erneut brach.
Sam wischte sich über das Gesicht und starrte ihr Spiegelbild an. In ihren blauen Augen schimmerte Wut. Das war nicht besser als Tränen. Jeez, war sie durch den Wind. Sie sollte wirklich mit Amy reden. Mal zuhören, wenn Ältere einen Rat erteilten, mal auf jemand anderen hören als auf das eigene Ego.
Sam säuberte das Becken, verließ das Badezimmer und betrat die anthrazitfarbene Küche. Amys leise Stimme drang an ihr Gehör. Sie stand auf dem Balkon, der vom Wohnzimmer abging, rauchte und telefonierte noch. Sam füllte Leitungswasser in ein Glas und schob sich auf einen Barhocker. Sie beabsichtigte, Amy nicht zu stören und hing ihren Gedanken nach, die schneller bei Timothy landeten, als das Wasser in ihrem knurrenden Magen. Wie großzügig und charmant er war. Romantisch, ehrlich, besorgt …
„Hi Samantha.“ Amy umarmte sie von hinten und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Oh. Was ist los?“
Sam kam sich lächerlich vor. Sie wollte Amy nicht mit ihren Problemchen auf den Wecker gehen. Amy trug ein kurzes Nachthemd und Augenringe. Und weshalb nannte Amy ihren vollen Namen? „Hey Amy. Entschuldige, dass ich dich überfalle. Wie geht’s dir? Ich hoffe, bei Cira ist alles okay?“
Amy nahm sie bei der Hand und zog sie ins Wohnzimmer auf eine Ledercouch. Sie kuschelte sich an ein dickes Kissen und trank einen tiefen Schluck aus dem Cognacschwenker. Dann hielt sie diesen an Sams Lippen. Verblüfft schluckte sie.
„Mir geht es gut und Cira auch. Aber dir nicht, Schätzchen. Was ist los?“
Der
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