Schwur des Blutes
Cognac rieselte Sam heiß durch die Speiseröhre in den leeren Magen.
Amy legte den Arm um sie. „Erzähl.“
Sie begann mit Timothys Auftauchen im Badezimmer und endete, als er sie in ein Taxi setzte, sie aufwachte und er murmelte ‚Pass auf dich auf‘. Das Zuschlagen der Autotür klang wie ein Donnerhall, wie ein nie verklingender Abschiedsgruß. Sam schluchzte. „Vielleicht sollte ich ihn anrufen. Du hast doch seine Nummer. Ich … ich könnte ihn fragen, ob er … weißt du, er hat wohl keine Arbeit und kein Geld, denke ich. Vielleicht würde er mit mir zusammen … ach, ich weiß auch nicht. Ich vermisse ihn.“ Sam brach ihr Gestotter ab. Amy streichelte ihr den Rücken. „Wo ist eigentlich Fire?“
„Beim Tierarzt.“
„Oh, ich hoffe nichts Schlimmes.“
Amy winkte ab.
Sam betrachtete den Teppich. „Hast du gewusst, dass Timothy ein Vampir ist?“
„Was ist denn das für eine Frage?“
Amys Handy stieß eine Fanfare aus, die Sam wie ein Stromstoß durch den Körper zuckte. Sie glich wahrhaftig einem Nervenbündel.
„Amy Evans. Ja?“
Sam stellte sich Timothys Gesicht vor. Sein leicht spitzes Kinn und den Fünftagebart, der seinen Mund einrahmte. Seine Lippen, die sich zu einem Lächeln verzogen, ein Lächeln, das seine Wangen erglühen ließ und seine wunderschönen Augen erreichte, als sie ihn fragte, ob er ihr beim Wiederaufbau von ‚ExtremE‘ helfen wollte. Vielleicht brauchte sie die Fotos, Fellund Hautproben der Werwölfe gar nicht mehr. Vielleicht sollte sie ihre Beweise einfach unter den Tisch fallen lassen und Zeit und Kraft investieren, sich all das anzueignen, was Chris draufgehabt hatte. Gespräche mit den Mitarbeitern führen, Aufgabenbereiche in verantwortungsvolle Hände abgeben, Kurse belegen, um dazuzulernen, nach und nach in Verhandlungen mit den Sponsoren treten, eine Vertrauensbasis aufbauen, ihnen zeigen, dass auf sie Verlass war. Damit die Unternehmen irgendwann, wenn sie bewiesen hatte, dass sie auf beiden Beinen stand und den Laden im kleinen Rahmen schmeißen konnte wie ihr Bruder, ihr so viel Vertrauen schenkten, dass sie sie darin unterstützten, ‚ExtremE‘ in voller Größe wieder zu eröffnen.
Ob sie so tun sollte, als hätte sie tatsächlich aus Trauer wirr über Werwölfe geredet? Auf jeden Fall sollte sie an sich arbeiten, anstatt zu versuchen, ihre alten Taten zu rechtfertigen oder sie zu bedauern. Sie sollte neue Taten wirken lassen. Vielleicht würde Timothy sogar Ja zu ihr und ihrem Angebot sagen, sofern sie sich hart genug ins Zeug legte, sich zusammenriss, ein klar definiertes Ziel vor Augen.
Energiegeladene Euphorie wallte in Sam empor, als steckte sie die Finger in eine Steckdose. Timothy wäre der perfekte Partner in jeder Hinsicht. Himmel, wie sie ihn vermisste. Seine Ruhe, seine wissende Gelassenheit strahlte auf sie ab. Bei ihm fühlte sie sich sicher und geborgen. Er gab, was sie brauchte, um ihren eigenen Weg zu finden und gehen zu können und sie hoffte, dass sie ihm ebenso Zuversicht schenken konnte. Auch er kämpfte mit seiner Vergangenheit. Sie sehnte sich nach seiner Nähe; sie hatte sich in ihn verliebt. Heillos, kopflos, haltlos, mehr, viel mehr. Verliebt bedeutete Schmetterlinge im Bauch, doch er hatte ihr Herz und ihren Kopf erobert. Im Sturm, völlig.
„Sam?“
Sie schreckte zusammen. Dass sie in Amys Arm lag und Amys Gespräch hatte sie vollkommen ausgeblendet. „Ja?“
„Timothy, für dich.“
Sams Herz sprang von San Francisco nach München und über das Bermudadreieck zurück in ihren Körper. Danach pochte es, als wäre sie die gesamte Strecke gerannt. Ihre Finger umschlossen das Handy und drückten es fest ans Ohr, damit sie auch keinen Laut überhörte. „Hallo?“
Ein dumpfes Räuspern, als hielte er den Hörer weg.
„Timothy? Hier ist Sam.“ Logisch! Wer auch sonst. Er hatte sie ja angerufen. „Alles okay?“ Blöde Floskel.
„Sam. Ja, danke.“ Sein tiefer Bariton klang nicht so ruhig wie sonst.
„Was gibt’s?“ Nein, nein, sag was Nettes. Sag, was du für ihn empfindest. „Ich …“
„Weißt du, Sam. Es tut mir leid, aber das war alles ein Fehler.“
Alles? Was alles? Doch nicht alles! „Du hast nichts …“
„Sam, bitte. Also, das war’s. Zwischen uns, du weißt schon. Vergiss es.“
Es? Ihn? Niemals! „Aber lass es mich doch bitte erklären.“ Ihre Stimme brach.
„Es ist besser so.“
Gott, wie konnte sie ihn überzeugen? Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume. „Ich … Timothy, ich habe keine Angst vor
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