Schwur des Blutes
für Verkauf- und Vermietung im Erdgeschoss sah genauso aus. Alle Crossmaschinen verweilten hochglanzpoliert und protzig auf ihren Plätzen. Die Taucherausrüstungen hingen an den Haken, die Schlüssel der Mietboote und der anderen leistungsstarken Ungetüme reihten sich ebenso sorgsam und beschriftet in Reih und Glied im Wandsafe ihres Büros.
Samantha saß ab, riss den Helm vom Kopf und strich sich über das Gesicht. „Ich bin nicht bescheuert!“ Sie knallte die Faust auf die Sitzfläche. Sie hatte diese Bestien zweimal mit ihren eigenen Augen erblickt. Sie brauchte keinen Beleg dafür, dass es Wesen gab, doch recht schmerzvoll hatte das Leben sie gelehrt, dass ihr Wort nicht ausreichte und niemand ihr Glauben schenkte, wenn sie keine hieb- und stichfesten Beweise vorlegte.
Sam hatte nach Chris’ Tod einfach nur rot gesehen. Als die Journalistin Amy Evans keinen Tag nach der Bluttat zu ihr kam, erzählte sie ihr die ganze Wahrheit – ohne darüber nachzudenken, welche Reaktionen sie bei wichtigen Geschäftspartnern damit auslösen könnte. Vielleicht hatte es daran gelegen, dass Amy ihr nicht nur zu glauben schien, sondern sie auch noch in ihrer Überzeugung, dass es Werwölfe gab, bestärkte. Ihre persönliche Rache an dem Mörder ihres Bruders beherrschte ihren Geist – bis Amys Artikel erschien. Drei Tage danach erhielt sie eine E-Mail von einem ihrer ‚ExtremE’ Sponsoren, der negative Auswirkungen auf ihr Geschäft aufgrund ihrer seltsamen Auftritte in der Öffentlichkeit befürchtete. Es kam, wie es kommen musste. Die anderen Sponsoren schlossen sich wie Dominosteine nach dem ersten Stoß an, ließen sie fallen wie eine Verrückte. Wahrscheinlich hatten alle den Erfolg ihres Konzepts auch nur mit ihrem direkten Ansprechpartner Christian Wolters verbunden und keiner glaubte, dass sie mit ihren 22 Jahren in der Lage war, allein das Unternehmen zu leiten.
Wenn sie Chris’ und ihren Traum weiterführen wollte, war sie auf die Zuschüsse angewiesen, auf die Kleidung, die Werbebeschriftungen auf den Autos und Crossmaschinen, die Eigenwerbung und das Geld, das die Szenen für die Werbung in Zeitschriften und im Fernsehen mit ihren PS-Schleudern einbrachte … Ohne Investoren war es aus und vorbei. ‚ExtremE‘ gestorben wie ihr Bruder.
Es schien nicht genug, dass man ihr Chris auf bestialische und unerklärliche Weise genommen hatte; nun nahm man ihr auch noch das, was sie lebendig gehalten hätte. Die Chance, Chris’ Lebenstraum weiterzuleben. Und ihren natürlich ebenso. Himmel, sie machte Amy keinen Vorwurf. Die Arme hatte schon ein schlechtes Gewissen und wohl deshalb darauf bestanden, bei der Werwolfjagd dabei sein zu wollen. Sie hätte einfach nachdenken müssen, bevor sie den Mund aufgemacht hatte. Wie auch immer. Über das Finanzielle konnte sie sich später Gedanken machen. Momentan hämmerte nur eine Überlegung in ihrem Schädel: Sie musste ihre Glaubwürdigkeit untermauern und dafür brauchte sie Beweise. Und was lag näher, als das zu tun, was sie gut konnte? Doch was passierte, wenn sie diese hatte, wenn sie herausgefunden hatte, weshalb eine intelligente Bestie, die es eigentlich gar nicht geben durfte, ihren Bruder kaltblütig ermordet hatte? Was würde sie dann tun? Sie wusste, was sie Chris schuldete … aber verdammt noch mal, die Zukunft jagte ihr schreckliche Angst ein.
Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, alles abzublasen; die Jagd nach dem Mörder, den Kampf um die Sponsoren, ihr geplantes Leben. Sie könnte alles verkaufen, aufgeben und zurück zu ihren Eltern nach München ziehen.
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht sie. Sie würde erst alles versuchen, um Chris’ und ihren Ruf wiederherzustellen. Sam spürte, dass ihr Bruder das von ihr erwartete und sie in ihrem Vorhaben unterstützte. Nur die riskanten Unterfangen eher nicht, aber darin hatte sie sich immerzu durchgesetzt.
Sie fuhr mit dem Fahrstuhl in die dritte Etage, durchschritt den teppichgedämpften Flur, von dem Büroräume abgingen, und betrat ihr gemeinsames Arbeitseckzimmer. Chris’ herbes Parfum hing immer noch im Raum, als hätte dieser seinen Wohlgeruch tief eingeatmet und für die Ewigkeit gespeichert. Toll. Schnurstracks schritt sie zum Wandsafe, der hinter einem Gemälde verborgen lag, öffnete ihn mit einer langen Kombination, entnahm Bargeld und legte ihren Ausweis und Führerschein hinein. Als Nächstes ging sie zum Sicherheitsschrank, der zwischen Chris’ ausladendem Schreibtisch und
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