Schwur des Blutes
Tier vor den tödlichen Flammen zu retten und aus den Trümmern zu bergen.
Timothy fuhr sich über das Gesicht. Einige Monate vor dem Beben hatte er zum ersten Mal mitbekommen, dass seine Familie bedroht wurde. Nicht, dass es ihm jemand erzählt hätte, nein, man hielt ihn ahnungslos. Doch den Streit zwischen seinen Eltern hatte er trotz der Stahltüren, von denen er dann erfuhr, dass sie seine Schwester beschützten, mit anhören können. Gesprächsfetzen für Gesprächsfetzen ergab seine wohlbehütete Vergangenheit einen Sinn. Sie waren 1896 nicht einfach umgezogen, sondern aus New Orleans geflohen. Der Umbau des Kellers 1905 in einen Hochsicherheitstrakt galt der Sicherheit von Josephine, auf die ein Anschlag verübt worden war. Deshalb hatte seine Mutter Joses Existenz verheimlicht. Erst kürzlich hatte er von Jonas erfahren, dass er es war, der sie damals aus dem tödlichen Morast gezogen und damit ihr junges Leben gerettet hatte.
Timothy überlief ein Schauder. Er war viel zu überrascht und geschockt von der Neuigkeit gewesen, um seinen Schwager nach Einzelheiten zu fragen. Er würde, solange er lebte, in Jonas’ Schuld stehen, egal was er zu Josephines Rettung hatte tun müssen.
Nach der Ermordung seines Dads hatte er angenommen, dass der Täter damals bereits Josephines Leben bedroht hatte. Aus diesem Grund begab er sich nach Zeemores Tod Anfang 1919 auf die Suche nach dem Mörder und Zerstörer seiner Blutsbande.
Hatte er ihn gefunden? Verflucht! Er konnte sich nicht erinnern. Timothy ballte die Fäuste, spürte das Feuer in seinem Herzen und löschte es mit Eis. Keine Gefühle! Nur sie besaßen die Macht, ihn zu vernichten. Hätte er nicht gelernt, sie zu beherrschen, existierte er nicht mehr. Woher er das wusste, konnte er sich ebenso nicht erklären. Eis hatte ihn beschützt; gefühlskaltes, herzloses Gefrorenes. Ewiges Eisblau. Dieses milchglasfarbene Bild schob sich stets vor seine Netzhäute, überschwemmte ihn die Kälte. Weißblaue Eissplitter wie ein spiegelglatter See, tiefgefroren, puderweiß und mit einer Schicht durchsichtiger Diamantenbruchstücke bedeckt, die die Sonne grell reflektierten.
Timothy kreiste mit den Schultern, lockerte die verspannten Muskeln, als seine Sinne etwas Gewaltiges auf sich zukommen spürten. Er musste einen klaren Kopf bewahren und das bedeutete, dass er hier unten nicht festwachsen konnte, um auf den Bescheid des Tribunals zu warten.
Er hatte spontan gehandelt, als er witterte, dass der blonde Mann durch den Autounfall zu schwer verletzt war, um zu überleben. Eigentlich hatte er zuerst nach den Fürsten suchen wollen, bevor er sie wegen einer Übertretung des Gesetzes auf den Plan rief, aber durch den Unfall hatte sich die Gelegenheit geboten, einem Menschen das Leben zu retten, sich eine Vorladung einzuhandeln und gleichzeitig Samantha beizustehen. Wer hätte da nicht zugegriffen? Er hatte einen der gereichten Erste-Hilfe-Koffer an sich genommen und sein heilkräftiges Blut aus der Handgelenksvene über den kleinen Finger in ein ausgeleertes Fläschchen laufen lassen. Sekündlich rechnete er mit dem mentalen Befehl der weisen Fürsten, dass er vor dem Rat der Wesen zu erscheinen hatte, weil er das oberste Gesetz gebrochen hatte. Doch nichts dergleichen geschah. Und finden würde er den Gerichtshof nicht. Er hatte alles abgesucht. Ny’lane hatte aus Erfahrung gesprochen. Was verheimlichte der Schwarze? Woher kannte er sich so gut mit etwas aus, worüber sonst niemand Bescheid wusste? Weshalb sollte Nyl nach den drakonischen Gesetzeshütern suchen, wenn er ihre Direktiven stetig überschritt?
Einen Aufzug, der Jonas’ Beschreibung auch nur im Entferntesten ähnelte, hatte er ebenfalls nicht gefunden. Nun ja, dann musste er eben auf die freundliche Einladung des Rates warten. Verdammt! Er hatte geglaubt und gehofft, noch heute Antworten zu erhalten. Zum Glück wohnte den Fürsten eine Unfehlbarkeit inne, die jedem Wesen angstvolle Schauder über den Rücken jagte. Ihre Machtposition war einzigartig. Und doch konnte er nicht behaupten, er hätte einmal wahrhaftig von einem Schuldspruch gehört, der gänzlich gegen seine Überzeugung ausfiel. Ihnen entging nicht die kleinste Kleinigkeit und ihre strengen Urteile verbreiteten sich sogar über die Spezies hinaus. Selbstredend veränderte die eine oder andere Erzählung den Richterspruch und mündete nicht selten in maßlose Horrorgeschichten. Der Kelch würde nicht an ihm vorübergehen. Die Strafe, vor der alle
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