Schwur des Blutes
durchfragten. Sie wollte weder ihr Vorhaben aufschieben noch darüber quatschen.
„Nur eine Minute, um dir dein Zeug zu holen“, ergänzte er.
Der Kerl streckte den Rücken, was ihr wie ein Blitz durch den Körper fuhr und sich in ihrer sensiblen Mitte sammelte. Heilige Jungfrau, was war das denn? Er war nicht der erste Triathlet, dem sie begegnete. Sie nickte.
„Die Bullen kommen. Du bist die Nächste“, sagte er, als stünde sie in einer langen Reihe von Wartenden.
Sam saß ruhig ab, zog den Wanderrucksack hinter das Motorrad, zog die Reißverschlüsse auf und holte drei Leinenbeutel heraus. Er riss sie ihr aus den Händen.
„Miss?“
Sam zuckte zusammen. Während sie aufstand, sah sie sich um, doch ihr Schokomann war verschwunden.
„Wir haben ein paar Fragen. Können Sie sich bitte ausweisen?“
~~
Cira lehnte an der Motorhaube von Alexanders Mercedes und ließ den Blick wie betäubt über die Trümmer des Schlosses wandern. Große Teile des sagenhaften Märchenschlosses, entworfen von Jonas’ Vater Diandro und seiner Mutter Sitara, einfach gesprengt wie einen schmutzigen Bunker. Cira schluckte. Sie erinnerte sich genau, wie sie vor nicht allzu langer Zeit hier gestanden und das gewaltige Ausmaß des Anwesens sie beeindruckt und zugleich eingeschüchtert hatte. Wie die verzierten Fassaden und weißen Ziegeltürme mit spiralförmigen Giebeln, die im strahlenden Licht der Sonne geheimnisumwittert geleuchtet hatten, sie an den Mythos Vampir hatten glauben lassen. Es wirkte viel zu gigantisch und märchenhaft, um darin zu wohnen, aber sie hatte sich dort sicher und zu Hause gefühlt. Zu einem Großteil verdankte sie das Gefühl ohne Zweifel Jonas, der immer für sie da war, sie umsorgte und anhimmelte, wie sie es sich seit Ewigkeiten erträumt hatte. Er las ihr beinahe jeden Wunsch von den Augen ab, neigte sich jederzeit ihren Interessen, doch sowie es um ihre Sicherheit ging, blieb er stur wie ein Ochse.
Cira sah auf den trockenen Marmorbrunnen, um den sich das Rondell vor dem Hauptportal des Schlosses wand. Keine der Skulpturen hatte den Angriff überlebt. Ein dunkles Loch und zersprengte Steine legten Zeugnis ab von der Gräueltat, die sich gestern zugetragen hatte. Cira kniff die Lider über den brennenden Augen zusammen. Greg war noch nicht aus dem Koma erwacht, wenngleich sich sein Zustand stabilisiert hatte und er von allein atmete. Dennoch lastete die Schuld wie das Gewicht der Erde auf ihrer Seele. Es lag an ihr. Der widerwärtige Satyr hatte gesagt, er wollte sie für jemanden holen. So eine Kreatur konnte nur für die Hölle arbeiten. Holte man sie, weil sie ihr Kind im Stich gelassen hatte? Gott, sie war so jung und unbedarft gewesen. Sie wollte nicht verantwortlich für all das sein. Ein beschämendes Desaster. Furcht vor dem Ungewissen schnürte ihr die Kehle zu. Am liebsten hätte sie sich verkrochen.
Jonas sprang über einen unversehrten schmiedeeisernen Balkon, überwand die zwei Stockwerke, als hätte er Schwingen mit Raketenantrieb, und rauschte auf sie zu. An seinem Gesichtsausdruck sah sie, was er ihr mitteilen wollte.
„Sie haben sich zurückgezogen“, sagte sie.
Jonas stoppte vor ihr. Sein kinnlanges Haar wehte ihm ins Gesicht. Seine jadegrünen Augen glühten vor Sorge mit dem sich spiegelnden Sonnenschein in ihnen um die Wette. Er ergriff ihre Hände, zog sie fest an sich. „Woher willst du das so genau wissen? Du solltest im Auto warten.“
Cira kuschelte sich an die breite Brust. Geborgenheit und Wärme stiegen auf. „Das Wetter, es ist schön. Und außerdem …“
Er schob sie ein wenig von sich und sah auf sie herab, eine Braue emporgewölbt.
„… außerdem hätte der Wagen bekanntermaßen nichts genützt. Und Elassarius steht in Sichtweite.“
„Du kannst ihn sehen?“
„Nein, aber er mich. Und ich weiß einfach, dass er da ist, wenn du es nicht bist.“
Jonas’ Gesichtsausdruck vollzog eine Wandlung, als hätte sie ihn zur Minna gemacht. Rasch erhob sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
„Du kannst nicht jede Sekunde auf mich achtgeben, Jonas. Es muss Wichtiges geklärt werden. Also bitte lass dieses gequälte Mienenspiel. Du bist der beste Aufpasser, den es im Diesseits und im Jenseits gibt.“ Ob er ihr das jemals glauben würde? Sie seufzte leise, von seinen Armen umschlungen. Seit Cira wusste, dass Schattenwandler wie Byzzarus zwischen der Totenwelt und der ihr bis dato bekannten Welt wandeln konnten, hatte sich einiges in ihrem Denken verändert. Es
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