Schwur des Blutes
würde es finden. Als die Sekunden verstrichen, überlegte
er, wann er die Schriftstücke hatte anfertigen lassen. So selten, wie er sie benötigte; nicht, dass er inzwischen fünfzig Jahre alt
hätte sein müssen. Was ihn daran erinnerte, dass es zumindest für Sitara und Alexander bald an der Zeit war, sich einen anderen Lebensort zu suchen oder sich zurückzuziehen, um später als erwachsene Kinder des verstorbenen Vaters, Urgroßvaters
aufzutreten.
„Und was kann ich für euch tun?“
Ungewohnterweise entglitt Jonas die Stimme, seine Worte hopsten über seine Zunge. „Ms. Anderson, Sie haben eine
Tochter namens Cira, nicht wahr?“
„Oh Gott …“
„Nein, nein. Ihr geht es gut. Sehr gut.“
„Gott sei Dank.“ Die Tür öffnete sich ein wenig weiter. „Und?“
„Ich möchte um ihre Hand anhalten.“
„Oh.“ Seltsame Geräusche wie ein Schlucken, Husten und Kichern gleichermaßen drangen nach draußen, dann schwang
die Tür auf. „Kommt doch herein. Und bitte entschuldigt meine Vorsicht.“
Eine kleine, leicht gekrümmt stehende Frau, mit hochgestecktem grauem Haar und wettergegerbtem Gesicht, lächelte ihm
offen entgegen. Jonas trat an ihr vorbei, ihrer freundlichen Geste folgend durch den langen Flur. Die alte Schrotflinte in ihren
Fingern entlockte ihm ein zurückhaltendes Grinsen. Wie die Mutter so die Tochter.
„Bitte ins Wohnzimmer, ja? Mannomann, ihr seid aber zwei Burschen. Hollywoodstars oder … wie heißen die? Wrestler?“
Sie lachte. Ein herzliches und zugleich trauriges Lachen. „Mein Fernseher ist leider kaputt. Ich bin da nicht so auf dem Laufenden. Und tja, seit er starb … tja.“
„Mein Beileid, Ms. Anderson.“
„Dito“, brummte Nyl.
Sie winkte ab und ging in die Küche. „Ach, ist schon sechs Jahre her. Ich mache uns einen Tee, ja?“ „Gern.“
„Hm.“
Jonas warf Nyl einen bösen Blick zu.
Ms. Andersons grauer Schopf erschien in dem Bogen zum Wohnzimmer. „Doch lieber etwas Stärkeres, hm?“ Sie zwinkerte in Nyls Richtung und verschwand wieder.
„Ich mag sie“, kommentierte Nyl.
Jonas verdrehte die Augen und besah sich den gemütlichen, aber heruntergekommenen Raum. Unzählige Reparaturen
standen an, er fühlte Risse im Dach, spürte Zugluft, roch verschmorte Stromleitungen und nicht gänzlich sauberes Wasser.
Alte Bücher, ein Dutzend Mal gelesen, reihten sich liebevoll aufgestellt auf einigen Regalen. Fotografien gab es keine. Die Gefühle von Ciras Mutter hatten Erleichterung gezeigt, als er von Cira erzählt hatte. Sie liebte ihre Tochter, war sich aber
scheinbar bewusst, dass Cira ihr nie-mals verzeihen konnte.
„Helfen Ciras Brüder Ihnen auf der Ranch oder im Haushalt?“
Ms. Andersons Empfindungen wirbelten kurzfristig in den Keller. „Nein, nein. Das schaffe ich schon.“ Es klimperte in der
Küche. Ihre aufwallenden Emotionen verrieten, dass der nächste Satz eine Lüge werden würde. „George kommt ab und zu
mit den Kindern, ja.“ Joe nicht, doch das sagte sie nicht. „So, da bin ich wieder. Schneller ging es nicht, mein Bein, müsst ihr
wissen. Setzt euch doch! Macht es euch bequem. Hier.“
Sie drückte Nyl ein frisch abgewaschenes dickbauchiges Glas mit einer goldenen Flüssigkeit in die Hand. Jonas bekam
ebenfalls eines. Ihres war nur zur Hälfte mit wohlgereiftem Whiskey gefüllt. Sie ließ sich leise aufseufzend in einen tiefen Sessel sinken und beugte sich mit dem Glas vor. „Und du möchtest also meine Tochter heiraten, hm?“ Sie schmunzelte, als gefiele ihr der Gedanke.
„Ja, Ma’am.“
„Oh, bitte.“ Sie stieß zuerst mit Nyl an, der sich ausnahmsweise edel benahm und mit dem Kippen gewartet hatte, und hielt
vor Jonas’ ausgestrecktem Glas in der Bewegung inne. „Ich komme mir so alt vor. Nennt mich bitte Elli.“ Sie stießen sanft
miteinander an. „Eleonore Jane Anderson.“
Jonas verschluckte sich bei der Erwähnung ihres vollen Namens beinahe an dem scharfen Getränk. Es dauerte eine Weile,
bis er seine Gedanken sortiert hatte. Eleonore Jane Anderson. Es lag im Bereich des Möglichen, dass sie ihrer Tochter ihren
eigenen Zweitnamen gegeben hatte. Doch woher zum Teufel wusste das Wesen davon, das Cira verfolgte? Der Entführer
des Flugzeugs hatte es gesagt, sicher besetzt von dem unfassbar mächtigen Dämon, der Cira seitdem auf den Fersen war. Die
Gestaltwandlerin Fay Havelland hatte berichtet, wie sie es von ihrem sterbenden Mann Lex-Vaun erfahren hatte. Gott verflucht, es brachte ihn um, dass er mit allem, was er herausfand,
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