Schwur des Blutes
konzentrierte sich wieder auf den Weg, gleichwohl er diesen auch mit geschlossenen Augen gefunden hätte. Er benötigte einen klaren Kopf, um einen Verfolger oder eine andersartige Gefahr sofort zu spüren, um Sam davor und vor sich in Sicherheit zu bringen, sollte es nötig werden. Er musste aufmerksam bleiben. Für einen Wimpernschlag spähte er nach vorn und atmete tief durch. Das war alles leichter gesagt als getan, denn sie faszinierte ihn. Von der Fußsohle bis zu den Haarspitzen. Aber das war es nicht, was ihn derart anzog. Körperlich ja, unerträglich und unerklärlich. Doch etwas, das er nicht bestimmen konnte, nicht greifen und nicht benennen, zog ihn wie ein Magnet zu dieser Frau. Es wogte atemberaubender und tief greifender als jegliche Lust in seinen Nervenbahnen, zarter als ein Flügelhauch und dennoch intensiver als alles, was er bisher kennenlernen durfte. Seit ihrer ersten Begegnung entdeckte er Facetten an ihr, die ihn nachdenklich stimmten, die ihn jeden Satz aus ihrem Mund gierig aufsaugen ließen und er wünschte, ihr wieder an einem Tisch gegenüberzusitzen, um sich mit ihr austauschen zu können. Alles, am liebsten alles auf einmal, wollte er von ihr wissen. Das Bedürfnis bei jemandem – bei ihr – zu sein, erfüllte ihn mit einer Vehemenz, dass er schon einen Bannzauber vermutete.
„Musst du immer so zurückbleiben?“
Timothy tat, als wäre er aus der Puste und blieb ebenfalls stehen. Der Anstieg schien vorüber, dicht stehende Kiefern lockten mit Schatten und – Sichtschutz.
„Ich meine, das nervt. Ich komme mir vor, als wärst du mein Sklave und müsstest stets hinter mir gehen, mich nicht direkt ansehen, sonst würde ich dich auspeitschen lassen.“
Was sollte er dazu sagen? Hatte sie den Abstand gemessen? Stand sie auf so etwas?
„Los, Großer. Sag’s ihr!“
„Was denn?“, fragte er im Affekt.
„Wie?“
Sam beugte den Oberkörper weit vornüber, spreizte die langen Beine, um das Gewicht des Rucksacks auf ihre gesamte Rückenpartie zu verlagern. Er hatte es aufgegeben, ihr anzubieten, ihn zu tragen. Sie ahnte nicht, welche Überwindung es kostete, ihn sich nicht gleich mit ihr zusammen auf den Rücken zu schnallen.
„Nichts“, murmelte er. „ Ethos, halt’s Maul. Du bringst mich in Teufels Küche.“
„Sie denkt, du bist verrückt.“ Ethos’ Lachen tobte in seinem Schädel.
„Du bist immer so ruhig.“
Das klang wie ein Vorwurf. Fand sie ihn langweilig? „Ha“, machte er. Ruhe bewahren war das Einzige, was alle um ihn
herum in Sicherheit wiegte.
„Du übertreibst.“
„Nein, ehrlich, Timothy. Fährst du nicht auch mal aus der Haut?“ Sam kam zu ihm in den Schatten der ersten Bäume und
hob das Kinn, um seine Mimik zu mustern.
„Nun ja …“ Eigentlich erinnerte er sich nicht exakt, aber er hatte Leben ausgelöscht. „Das willst du nicht wirklich erleben.“
Sie öffnete den Mund und er legte pfeilschnell seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. „Und dabei wollen wir es belassen.“ Das Kribbeln kroch wie zarte Ameisenfüßchen über seinen Handrücken den Arm hinauf. Obwohl er längst den Finger
weggenommen hatte, krabbelten sie weiter, überschwemmten seinen Körper mit Energie und … Lust. Sam zuckte mit den Schultern und schlug den Weg in den Wald ein. „Komm, wir müssen heute noch eine ziemliche Strecke zurücklegen.“
Timothy ließ sie vorgehen und behielt den Abstand bei.
„Ist sie nett?“, fragte Sam nach einer Weile.
„Bitte?“
Sam hatte sich nicht umgedreht, sondern sprach recht laut nach vorn. „Deine Freundin. Nett, hübsch, wie alt? Älter?“ „Älter?“ Ethos’ weibliches Lachen in seinem Kopf half ihm auf die Sprünge. „Nein, da ist niemand.“ „Jetzt bin ich aber pikiert.“ Ethos schnaufte verächtlich, was jedoch sogleich wieder in Gelächter mündete. „Das ist einfach zu
komisch.“
„Das ist überhaupt nicht komisch, Ethos. Ich wäre nicht hier, wenn ich mich nicht um Samanthas Leben sorgen müsste.“ „Na klar.“
„Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Ich habe unser Gesetz häufig genug übertreten. Ich hab dem Kerl auf der Straße mein Blut gegeben.
Verdammt! Wo sind diese verfluchten Fürsten, wenn man sie braucht?“
Ethos gab keine Erwiderung von sich, was Timothy wunderte. „Hey, sag was dazu, wenn ich dich schon mal auffordere.“ „Schönes Wetter heute.“
„Schönes Wetter heu… bist du bescheuert? Gott, würdest du endlich reden und mir verraten, wie du heißt, wer du bist und wo du
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