Schwur des Blutes
ihnen und vor ihnen lag eine lange, öde Strecke aus nichts Weiterem als Sand, Geröll und Kakteen. Nachdem sie Carson City auf dem Freeway 395 durchquert hatten, hatte eine Königsnatter die Fahrbahn gekreuzt, ansonsten kam ihnen in
dieser einsamen Gegend nur selten etwas entgegen. Ich bin in Carson City aufgewachsen, auf einer beschissenen Farm im Hinterland.
Vampire vergaßen nie. Cira hatte mit der Abgelegenheit ihres Elternhauses nicht übertrieben. Auch ihre Erzählungen über
das, was ihre Zwillingsstiefbrüder Joe und George ihr angetan hatten, hatte er nicht vergessen, ließ unbändige Wut unter der
Oberfläche brodeln wie bei einem aufgestauten Vulkan.
„Ich find’s scheiße. Nur weil du einen guten Eindruck bei ihrer Mami machen willst, muss ich mich in diese farbenfrohen
Fummel werfen.“
Nyl hatte wie immer in schwarzer Lederkluft mit langem Mantel vor ihm gestanden, als sie sich trafen. „Dunkelblau und
Weiß nennst du farbenfroh?“
„Ach, leck mich.“
Jonas lehnte eine Schulter an die Seitenscheibe des Trucks und sah seinen Kumpel am Steuer an. „Nyl, was ist los? Hast du
nicht genug getrunken, schlecht gefickt?“
Die Sonnenbrille musterte ihn, länger als ein Mensch seinen Blick von der Fahrbahn abgewandt hätte, während er mit 100
Meilen über den Sandweg bretterte. „So wie du grinst, hattest wenigstens du noch deinen Spaß.“
Jonas bemühte sich, seine Gesichtsmuskeln teilnahmslos und schlaff erscheinen zu lassen, doch als er spürte, wie Nyl ihn
beobachtete, konnte er sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen.
„Arschloch.“
„Mann, Mann, Mann. Heute wirfst du aber mit Kraftausdrücken herum. Bitte nicht vor Ms. Anderson.“ „Früher hat dich das nie gestört.“
Jonas strich sich das Haar zurück, das durch das Gebläse umherflatterte. „Du brauchst echt eine Gefährtin …“ Nyl knurrte und beendete damit das immerwährende, unterschwellige Thema, ohne etwas von sich zu geben. Die Stille zog
sich wie zäher Kaugummi.
„Was ist verdammt noch mal so wichtig an Ciras Familie, dass du sie allein lässt?“
Unruhe erfüllte Jonas nun noch heftiger als vor Nyls Frage. „Sie ist nicht allein.“
„Keine Antwort.“
Jonas seufzte. „Ich bin die Legende, die gesamte Geschichte von allen Seiten angegangen. Sie muss weitreichender sein,
denn mir fehlen zu viele Informationen, um sie zusammenzusetzen. Alles könnte bedeutend sein. Und Cira ist der Mittelpunkt. Jemand will sie haben. Warum? Diandros Ring, die Fürsten, das Chaos auf der Erde … alles hängt zusammen. Ich
spüre es, aber ich finde keine Erklärung.“
Sie versanken in Schweigen, während Nyl zweifellos seine Gedanken las. Sollte er, vielleicht war er besser im Zusammensetzen des Scherbenhaufens.
Nyl fauchte, als hätte Jonas etwas Abfälliges über ihn gedacht.
„Hey, ich will dich nicht nerven. Schon okay, wenn du nicht reden möchtest. Ich sage dir nur, dass du ab und zu ein wahrer
Kotzbrocken geworden bist. Trotzdem danke, dass du mitkommst“, sagte Jonas.
Ny’lane sauste ungebremst über eine leere Kreuzung. „Um Händchen zu halten?“
„Ich hatte allein keinen Bock auf die lange Fahrt.“
Nyls Gesicht zuckte kurz in seine Richtung.
Jonas verzog, seiner Lüge enttarnt und genervt, die Lippen. „Okay … weil ich mich vielleicht nicht zurückhalten kann, falls
mir einer dieser beschissenen Flachwichser unter die Augen kommt.“
„Kapiert.“
„Außerdem wollte ich dich fragen, was du da über den Teppich in deinem Büro …“
Nyl fiel ihm ins Wort. „Vergiss es.“
„Genauso wie deine Vergangenheit?“
„Exakt.“
„Du willst das alles tiefer in dich hineinfressen und mit ins Grab nehmen?“
Ny’lane lachte dröhnend auf, als hätte Jonas einen richtig guten Witz gemacht. „So ein schönes, mit champagnerfarbenem
Marmor, mit Harfe spielenden Engelchen, die mit offenen Flügeln über mich wachen?“ Nyl bog auf einen durch Sandverwehungen kaum erkennbaren Fahrbahnverlauf ein. Den Navigator benötigte er nicht, nachdem er sich den Weg ein Mal auf der
Karte angesehen hatte. Auf einmal nahm Nyl die Brille ab und sah ihm durchdringend in die Augen. „Jonas, du bist mein
bester, mein einziger Freund auf dieser einsamen Welt. Hast du es noch nicht kapiert, dass ich ein Arschloch bin, ein Tribor,
ein Geächteter, ein Sklaventreiber und Dealer? Ich lebe nur, weil es zwei Dinge gibt, die mich mit diesem beschissenen Leben
weitermachen lassen. Und die, mein glücklicher Verlobter, werde ich mit in die Hölle
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