Science Fiction Almanach 1981
bedauerlicher Umstand, andererseits hat dies alles aber auch den Lesern bewiesen, daß Frauen in der Tat ausgezeichnete Science Fiction schreiben können. Wenn das Lesepublikum einmal dahintergekommen ist und an diesen Arbeiten Gefallen gefunden hat, werden die Dinge wieder ins Lot geraten, und es wird sich wieder ein Gleichgewicht herstellen, bei dem Männer und Frauen gleichermaßen ane r kannt als Schriftsteller werden arbeiten können. So wie ich die Dinge sehe, treten wir gegenwärtig in dieses Stadium ein.
Frage: Meiner Meinung nach werden zu einem guten Teil Marktetikettierungen verteilt. Ein feministisches Buch wird als solches auf dem Markt geführt, das gleiche Prinzip dominiert die Science-fiction. Offenbar soll doch versucht werden, mit den oben erwähnten Produktionen diese beiden Lesergruppen zusammen zu erreichen.
Vinge: Vielleicht könnte man diese Strategie auf einen gewissen geringen Anteil der von Frauen produzierten Science Fiction anwenden, jenen Anteil, der ausgesprochen stark feministisch orientiert ist. Ich glaube jedoch, daß die Mehrzahl der Arbeiten von SF-Autorinnen – hier meine ich etwa Ursula K. Le Guin, Vonda Mclntyre und mich selbst – eine weitaus stärkere humanistische Orientierung aufweist, hinter die feministische Tendenzen zurücktreten.
Die meisten Frauen, die Science-fiction schreiben, sind zunächst einmal daran interessiert, diese Literatur zu prod u zieren. Vielleicht wollen sie Frauen in dominanten Rollen darstellen, aber das tun bereits eine ganze Reihe ihrer män n lichen Kollegen – Leute wie John Varley oder Spider R o binson etwa. Und dabei handelt es sich ja keinesfalls um ausgesprochen feministische Attacken. Meiner Meinung nach weitet sich die ursprünglich thematisch begrenzte K a tegorie der Science-fiction aus, so daß immer mehr Leute, die bisher nichts aus dem Bereich dieses Genres gelesen h a ben, auf den Geschmack kommen – Star Wars (Krieg der Sterne) hat sicherlich einiges an Bedürfnissen geweckt. F e ministische Science-fiction stellt nur einen sehr geringen Teil dessen dar, was SF-Autorinnen heute alles schreiben.
Frage: Was hat Sie ursprünglich zur SF hingezogen?
Vinge: Ich glaube, es war die Sache mit dem sogenannten sense of wonder. Die erste Geschichte, die mir in die Hände fiel, war Andre Nortons Storm Over Warlock (Sturm über Warlock). Noch bevor ich sechzehn Jahre alt war, hatte ich diese Geschichte im Laden um die Ecke entdeckt und natü r lich sofort gierig verschlungen. Ich dachte mir: Mensch, wieso entdecke ich solche Sachen erst jetzt, wieso habe ich nicht schon früher etwas davon mitgekriegt? Die Begebe n heiten auf einer anderen Welt, die uneingeschränkte Vorste l lungskraft, die sich in der Geschichte niederschlug, übten eine ungeheure Anziehungskraft auf mich aus. Seitdem habe ich niemals etwas anderes als Science Fiction schreiben wo l len. Ich liebe es vor allem, Charaktere zu entwerfen. Da ich meistens über Personen schreibe, habe ich mir schon manchmal gedacht: Wenn dir die am wichtigsten sind, wa r um schreibst du dann nicht Mainstream-Literatur? Da habe ich gemerkt, daß mich nicht allein die Charaktere angezogen haben, sondern auch sich um sie rankende neue Ideen, ei n zigartige, fremde Hintergründe. Ich habe Anthropologie an der Universität studiert und in diesem Fach mein erstes E x amen abgelegt. Anthropologie und Science Fiction übten auf mich einen vergleichbaren Reiz aus. Mir gefielen Denka n sätze, die von der traditionellen westlichen Betrachtung s weise der Welt abweichen, und ich konnte in diesen anderen Ansätzen aufgehen, sie stimulierten meine Imagination. So faszinierte mich etwa der Gedanke, daß Wesen auf eine vö l lig andere Art als wir Menschen organisiert sind und daß sie dennoch fehlerfrei funktionieren. Es ist so aufregend, etwas über Menschen aus einer anderen Kultur hier auf der Erde oder aber aus einer fremdartigen Welt irgendwo im All zu lernen, es regt die Phantasie an. Ich kann mich in so etwas reinschaffen, und diese Arbeit vermittelt mir eine immense Befriedigung. Das macht für mich die Essenz der Science-fiction aus, das schätze ich an dieser Literatur.
Frage: Ist dieser Reiz dem eines historischen Romans wie etwa Sh õ gun vergleichbar?
Vinge: In gewisser Weise sicherlich. Die Rezeption eines historischen Romans vermittelt ein unterschiedliches Wel t bild zu unserem heutigen. In Shõgun ist das selbstverstän d lich die japanische Kultur, die unserem westlichen Denken sehr
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