Science Fiction Almanach 1981
Hemd über, das mir in die Finger fiel, ein karmesinrotes Ding, das in einer Reihe weißer Kittel hing und wie ein exotischer Vogel in einem verschneiten Landstrich wirkte. Dann durchwühlte ich weiter die Schubladen und Schränke. Sorglos in ein A b lagefach geschoben, fand ich eine andere Mikrokarte, die mir bekannt vorkam, und als ich sie in den Bildbetrachter steckte, entpuppte sie sich als ein Buch über Albinismus, das ich, wie mir seltsamerweise einfiel, als Junge gekauft hatte. Es vertrieb meine letzten, verwehenden Zweifel. Offensich t lich hatte ich es mir zugelegt, bevor die beiden Persönlic h keiten sich dermaßen scharf gespalten und verschiedene Wege eingeschlagen hatten. Jason war zu Jay geworden. Ich fing an, es zu glauben. Ich akzeptierte es noch nicht, konnte mir aber vorstellen, daß es so gekommen war. Das Buch sah ziemlich abgegriffen aus und war so oft benutzt worden, daß ich es mit größter Sorgfalt in die Betrachtungsrille schieben mußte.
Unter einem zusammengefalteten Stapel sauberer Unte r wäsche fand ich eine halbleere, flache Whiskyflasche. Ich erinnerte mich, daß Forth gesagt hatte, er habe Jay Allison niemals trinken sehen, und dachte plötzlich: der arme Narr! Ich genehmigte mir selbst einen Schluck und setzte mich hin, um die Zeit damit totzuschlagen, indem ich das Ber g buch betrachtete.
Ich nahm an, daß sich die beiden Hälften unserer Persö n lichkeit erst dann derart stark auseinandergelebt hatten, nachdem ich in die Medizinische Fakultät eingetreten war und ein solch hohes Resultat erzielt hatte, daß daraus Tage und Wochen – und, wie ich vermutete, Jahre – geworden waren, in denen es Jay Allison gelungen war, mich völlig unterzubuttern. Ich versuchte einige persönliche Daten z u sammenzubekommen, indem ich einen Blick in seinen Te r minkalender warf, erhielt aber einen solch starken mentalen Schlag, daß ich ihn mit den beschriebenen Seiten nach unten weglegte und beschloß, darüber nachzudenken, wenn ich ein wenig mehr betrunken war.
Ich fragte mich, ob die Details meiner Jugenderinneru n gen mit denen übereinstimmten, die sich Jay Allison au f drängten, wenn er über sie nachdachte. Ich glaubte nicht. Die Menschen vergessen und erinnern sich selektiv. Imme r hin hatte Jays dominante Persönlichkeit mich in einem w o chen- und jahrelangen Prozeß verdrängt – und damit war ich, das junge Rauhbein, der mehr als nur ein halber Dark o vaner war, die Berge liebte und vor Sehnsucht nach einer nichtmenschlichen Welt beinahe krank war, von diesem kühlen, beherrschten jungen Medizinstudenten, der sich in seiner Arbeit völlig verlor, hinweggespült worden. Aber ich, Jason – war ich nicht immer der Beobachter im Hintergrund gewesen, die Person, die zu sein Jay Allison sich nicht tra u te? Warum war er bereits über dreißig Jahre alt – und ich erst zweiundzwanzig?
Ein Klingeln zerbrach die Stille. Ich hastete an das Inte r kom, das an der Schlafzimmerwand angebracht war, und fragte: „Wer ist da?“ Eine unbekannte Stimme sagte: „Dr. Allison?“
Automatisch sagte ich: „Hier ist niemand, der so heißt.“ Ich machte Anstalten, den Hörer auf die Gabel zurückzul e gen. Dann hielt ich inne, schluckte und fragte: „Sind Sie das, Dr. Forth?“
Er war es. Ich holte noch einmal tief Luft. Ich wollte nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden, was ich sagen würde, wenn irgend jemand anders zu wissen verlangte, wieso zum Teufel ich Dr. Allisons Privatgespräche entg e gennahm. Als Forth fertig war, ging ich zum Spiegel hi n über, starrte mich an und versuchte hinter meinem Gesicht die scharfen Züge dieses Fremden, dieses Doktor Jason All i son zu entdecken. Und sogar während ich mir darüber G e danken machte, was ich für eine Reise in die Berge zusa m menpacken sollte, welcher Lebensweise sich eine Jagdgru p pe zu befleißigen hatte, und im Geiste Listen über Hitzewe l len und Windböen anlegte, blieb ich dort stehen. Das G e sicht, das mich ansah, war jung, faltenlos und mit einigen Sommersprossen versehen. Es war das gleiche wie immer – ausgenommen, daß ich meine Sonnenbräune verloren hatte. Jay Allison hatte mich zu lange eingesperrt. Plötzlich drohte ich dem Spiegelbild mit der Faust. „Zum Teufel mit dir, Dr. Allison“, sagte ich und ging, um nachzusehen, ob er einige Kleidungsstücke behalten hatte, die einzupacken es sich lohnte.
3.
Dr. Forth wartete auf dem Dachlandeplatz auf mich, de s gleichen ein kleiner Copter; eine von
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