Science Fiction Almanach 1983
die Gitterstäbe zerbricht und uns deutlich zeigt, worauf es eigentlich aus ist. Ich kann List und Heimtücke verstehen – und auch ungezähmte Freß- oder Angriffslust –, aber dieses Gemisch von beidem?
„Und dann“, fuhr er fort, „noch so ein Widerspruch: Es widersteht Strahlwaffen und kann Troniumstäbe zerreißen – aber es flieht vor einem Menschen, der es mit dem Spaten angreift! Ich verstehe dieses Wesen nicht!“
Er versank in nachdenkliches Schweigen.
„Chef“, knurrte einer der Erdmenschen, die mit uns Zuflucht im Boot gesucht hatten, „mich interessieren psychologische Studien über dieses Vieh wirklich nicht, solange der arme Kerl da draußen unter seinen Klauen liegt! Will ihm denn keiner helfen?“
„Der einzige Weg, ihm zu helfen, ist, herauszubekommen, was das Wesen eigentlich will! wies ihn der Koordinator zurecht. „Soll ich etwa mit einer Strahlpistole schießen? Das schadet dem Verwundeten mehr als dem Untier!“
Er hatte recht – er mußte recht haben; denn hätte es einen anderen Weg gegeben, so hätte er ihn – als Roboter – wählen müssen. Ich ahnte, daß sich in seinem positronischen Gehirn jetzt die Ströme jagten, um eine Lösung zu finden.
Aber ich ertrug es nicht länger, diesem Schauspiel zuzusehen.
„Gondor Ryan!“ rief der Koordinator. „Bleiben Sie stehen!“
Ich hörte nicht auf ihn. Ich hatte mich über die Wandung des Bootes geschwungen und glitt jetzt über die Sandfläche auf das Untier zu. Mich schüttelte das Grauen bei dem Gedanken an seine reißenden Klauen – aber die würgende Angst, die aus den Gedanken des Verletzten zu mir drang, seine verzweifelten, stummen Hilferufe zogen mich genauso stark und unwiderstehlich an, als sei ich ein Roboter, den das Gesetz zwang, ihm zu Hilfe zu eilen.
Jetzt hatte ich ihn erreicht. Dicht vor mir lag der Leib des Untieres – dort zuckten die Klauenbeine, und der Rüssel tupfte ruhelos an den Wundrändern. Ich schob einen meiner Arme vor und suchte ihn wegzureißen, aber schon schoben sich andere gegliederte Beine dazwischen – und nun packten sie mich plötzlich, hoben mich – schon glaubte ich, die scharfen Klauen in meinem Leib zu fühlen …
… aber ich fühlte nichts. Es war geradezu ein betäubender Schock: Anstatt des wilden Schmerzes, auf den ich gefaßt war, fühlte ich mich nur sanft emporgetragen; die scharfen Messerklauen waren eingezogen und die starken braunen Beine verursachten mir weniger Schmerz als vor ein paar Stunden die kantigen Leiterholme des Erdschiffes!
Sorgfältig, fast liebevoll setzten mich die seltsamen Greifer wieder in den Sand und zogen sich gestikulierend zurück, als wollten sie sich für ihr Vorgehen entschuldigen.
Aber die Angst des Verwundeten trieb mich wieder vorwärts. Hinten – im Boot – schrien die Menschen etwas Unverständliches. Unklare Gedankenfetzen der Ryl drangen zu mir. Aber sie alle wurden übertönt durch den Schreck des Verwundeten. Aber plötzlich ließ dieses wilde Drängen nach – die Gedanken wurden schlaff. Stirbt er jetzt, fragte ich mich. Aber schon schoben sich andere Gedanken nach vorn – und so unfaßbar es mir erschien: Der Verwundete – träumte! Er schlief!
Der braune Leib des fremden Wesens bäumte sich auf. Der rote Rüssel verschwand – die Klauenbeine lösten sich – es war, das spürte ich, im Begriff, zurückzuweichen; doch da traf mich plötzlich mit voller Stärke ein warnender Gedankenschrei:
„Vorsicht, Gondor Ryan!“
Und mit gräßlicher Klarheit drang aus dem Hirn eines anderen Ryl ein Bild auf mich ein: Einer der Erdmenschen im zweiten Boot hatte die Nerven verloren. Er hob, allen Erfahrungen zum Trotz, seine Strahlpistole, um auf das Wesen zu schießen – und ich
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