Science Fiction Almanach 1983
„Niemand war da bedroht, dem er zu Hilfe eilen mußte!“
Der Koordinator lächelte.
„O doch – wenn wir Herren der Schöpfung es auch nicht bemerkt haben: Es war Leben bedroht!
Was sagten Sie doch, Doktor, als das ‚Ungeheuer’ plötzlich aus seinem Käfig ausbrach? ‚Ich muß nur noch die Wunde desinfizieren!’ Und was heißt desinfizieren? Töten heißt es – unzählige Keime töten!“
Der Arzt fuhr auf. „Aber das ist doch …“
„Das ist für uns selbstverständlich, aber ich vermute, daß er mit seinem rötlichen Rüssel den Bakterien ein Lockmittel darbot, das die Bakterien aus dem Körper des Verletzten wieder auswandern ließ – ohne sie selbst zu schädigen. Sie sollten das Problem untersuchen!“
Der Koordinator wandte sich wieder zu mir.
„Und nun kommen wir zum Ende der Geschichte. Der Roboter hat den Verwundeten in heilenden Schlaf versenkt – er hat einen neuen Störenfried, unseren Gondor Ryan, sorgfältig beiseite geschoben –, jetzt könnte er sich endlich zurückziehen. Aber da hebt jemand die Strahlpistole – und diesmal ist es nicht nur der unverletzliche Roboter, der im Energiekegel steht, sondern auch ein lebendes Wesen. Und wieder greift das erste Grundgesetz ein: Vor die Wahl gestellt, sich selbst zu schützen – oder Gondor Ryan –, muß sich der Roboter opfern.
Er verschiebt seinen Energieschirm so, daß er den Ryl vor dem sengenden Strahl bewahrt – aber dafür ist er selbst ohne Schutz. Und so bleibt ihm nur die Vernichtung – im Dienst des Lebens, das für ihn heilig ist …“
Der Koordinator schwieg, und wir alle standen stumm neben der verbrannten Hülle. Schließlich sagte einer der Männer mit einem unsicheren Lachen:
„Chef – Sie sprechen von dieser Maschine, als sei sie ein Märtyrer gewesen!“
Marc sah ihn scharf an.
„Nein – kein Märtyrer, aber ein Sündenbock.
Sie kennen doch die Geschichte vom Sündenbock? Sie steht im Alten Testament: Einmal im Jahr – heißt es da – wählten sich die Kinder Israels zwei Böcke; der eine wurde dem Gott Jahwe geopfert – den anderen aber beluden sie mit allen ihren Sünden und jagten ihn in die Wüste hinaus, ins Reich des Dämons Azazel – ‚damit er sie trage’, heißt es in einem Kommentar.
Haben wir alle – Menschen und Ryl – nicht das gleiche getan? War es nicht unser aller Mißtrauen gegeneinander, das Mißtrauen gegen Leben und Denken in anderer Form als der gewohnten, das wir auf dieses Wesen übertragen haben? Waren es nicht unsere eigenen Fehler, unsere ‚Sünden’, die wir ihm angedichtet haben – Heimtücke, Betrug, Blutgier, Feigheit, der Wille, andere zu vernichten, nur weil sie anders sind, und die Angst, vernichtet zu werden, nur weil man anders ist?
Azazel – die Wüste – haben wir diesen Planeten genannt; und auf Azazel, den Sündenbock, haben wir unsere Sünden abgewälzt. Aber – haben wir sie auch mit Azazel vernichtet?“
Er wandte sich ab und ging in die Wüste hinaus.
Der Koordinator sah ihm nach.
„Gondor Ryan“, sagte er leise, „wir waren einig, als wir glaubten, Azazel vernichten zu müssen. Können wir nicht auch einig sein, wenn es darum geht, seinem Vorbild, dem Vorbild seiner Erbauer, zu folgen – ein Band zu knüpfen, das alles Leben im Universum einigt?“
Ich neigte meinen Kopfstern.
„Koordinator“, erwiderte ich leise, „nicht umsonst hat wohl der Rat unserer Priester gerade diesen Planeten als Ort für unser Treffen ausgewählt. Unsere Priester sind weise – weiser, glaube ich heute, als der Hohe Rat unserer weltlichen Herrscher; und ich begreife jetzt, warum sie mir ein Angebinde mit auf den Weg gaben, dessen Sinn ich damals nicht verstand.
Morgen früh werde ich dem Erdmenschen Marc die
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