Science Fiction Almanach 1983
anderen, erhobenen Beinen seltsame Bewegungen über dem Boden zu machen.
„Was soll das bloß?“ fragte Marc mißtrauisch.
Wir Ryl hatten den Menschen wenig helfen können. Auch die Gedanken, die ich mit meinen Brüdern austauschte, brachten keine rechte Klärung: Sie hatten die verunglückte Gruppe – einen Ryl und zwei Menschen – wohl zwischen den Ruinen verschwinden sehen, waren dann in weiter Ferne durch den Einsturz des Turmes alarmiert worden und herbeigeeilt – aber was eigentlich geschehen war, wußten auch sie nicht. Und die Verunglückten waren nicht in der Lage, es uns zu schildern – zwei waren tot, der übriggebliebene Mensch schwer verletzt.
Aber die Aufklärung sollte uns von einer einigermaßen unerwarteten Seite kommen. Der Koordinator hatte das Wesen und sein seltsames Treiben nicht aus den Augen gelassen und sagte plötzlich:
„Marc! Gondor Ryan! Seht her – ich glaube, das Biest zeichnet etwas auf den Boden!“
Tatsächlich. Fasziniert starrten wir auf die vielgliedrigen Arme, die in die glattgebrannte Quarzfläche jenseits des Gitters jetzt Linien kratzten – mit Klauen, die schärfer sein mußten als Quarz! – und diese Linien zu Bildern formten. Fast zehn Arme arbeiteten zu gleicher Zeit an diesem Bild – und endlich waren sie fertig: Mit der Präzision eines technischen Konstruktionsplanes zeigten sie uns ein Bild, das wir wiedererkannten – die Szene des Unglücks!
Das war der hohe Turm – das die langgestreckte Mauer – und davor, in ihren Umrissen deutlich erkennbar, waren zwei menschliche Gestalten und die Kegelform eines Ryl gezeichnet.
„Unfaßbar!“ murmelte Marc. „Mit zehn Armen zugleich ein solches Bild zu zeichnen – und auch noch so, daß es für das Biest auf dem Kopf steht – das ist doch unglaublich!“
„Sieh genauer hin!“ warf der Koordinator ein. „Der eine Mensch hält eine Strahlpistole – und diese Linien sollen bedeuten, daß er schießt: auf den Fuß des Turmes!“
Das Wesen machte mit seinen Armbeinen eine seltsame Geste – dann schob es sich weiter und begann auf einem noch unberührten Fleck eine neue Zeichnung.
„Es meint, der Schuß hat die Basis des Turmes getroffen, dort die Materie aufgelöst, und dadurch ist der Bau eingestürzt!“ sagte Marc atemlos.
Eine dritte Zeichnung entstand: Zwischen angedeuteten Trümmern lagen die Leiber der Menschen und des Ryl – und nun setzte das Wesen seinen eigenen gewundenen Leib dazwischen: Mit ein paar Beinpaaren die Körper anhebend und Trümmer beiseite schiebend.
„Ist das wirklich möglich? Es ist erst nachträglich dazugekommen – und hat nur versucht, den Verunglückten zu helfen?“ fragte Marc zweifelnd.
„Das ist seine Vorstellung des Vorganges! Gondor Ryan hat etwas anderes dazu zu sagen, nicht wahr?“ sagte der Koordinator kühl. „Können Sie die Gedanken dieses Wesens lesen?“ fuhr er zu mir gewandt fort. „Diese Geschichte vom barmherzigen Samariter paßt kaum zu dem Eindruck von reißenden Klauen, den Sie empfangen haben, als das Unglück geschah!“
Ich hob bedauernd die Arme. „Ich empfange nichts. Ich kann nicht beurteilen, ob dieses Wesen überhaupt denkt – geschweige denn, was. Ich weiß nur, daß es seine Klauen in den Leib des toten Ryl geschlagen haben muß, als er noch lebte – ob, um ihm zu helfen, oder um ihn vollends zu töten, das kann ich nicht entscheiden!“
Der Koordinator nickte langsam. „Die ganze Sache ist sehr unklar. Wir wissen nicht, warum der Mensch geschossen hat – wir wissen nicht, woher dieses Wesen überhaupt kommt – wir wissen nicht, was es vorhatte. Nur eines wissen wir: daß es keineswegs irgendein harmloses Tier ist, sondern zumindest so intelligent wie wir –
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