Science Fiction Almanach 1983
geschichtsträchtig.
Hitze.
Der Staub flimmerte und machte die wenigen Bäume grau.
Am Rande hockte der ZEITER und gähnte mit seinen hohen Fenstern in den Nachmittag.
Der Wind schlief.
Das große Gerät hielt an Fäden Gehirne in den trägen Strom der Zeit, hatte seine Fühler ausgestreckt, schwebte über Abgründen der Vergangenheit, über Schluchten und Untiefen, toten Wassern, wachte, dünne Planken im Ungefähr. Doch kein Fuß suchte Tritt, keine Hand suchte Halt, nur Lähmung, Schlaf und matter Reflex.
Ein Gespinst von Silberelektroden im grauen Gewölk der Großhirnrinde, eine Hand, die dir behutsam durch die Stirn greift, dich hält; winzige Energiefäden, Muster, schwerelos in den Schädel gelagert, tragen dein Ich über Schalt stellen und Verstärkerelemente in die große Dunkelheit der Korridore, in denen die Zeit rinnt.
Erbarmungslos brütete die Sonne über dem Flugfeld, dem Flugfeld von Kiara, am Rande der uralten, verlassenen Stadt zwischen Wüste und längst versiegtem Strom, den die Alten vor Äonen den „Nil“ genannt hatten.
Hitze.
Ich habe einen Untermieter.
Nun werden Sie sagen, das sei nichts Besonderes, und Sie haben recht. Viele haben Untermieter, sympathische und unangenehme, die ständig Ärger machen, aber Sie werden sehen, meiner ist doch etwas Besonderes. Wir bewohnen nämlich beide dasselbe Zimmer, doch – ich habe ihn noch nie gesehen oder gehört. Ich meine, richtig gehört.
Ein überaus angenehmer Mieter, werden Sie jetzt sagen, aber langsam, langsam! Hören Sie weiter zu. Ich muß Ihnen versichern, ich glaube nicht an Gespenster, ich bin auch sonst nicht furchtsam, aber mir ist die Sache doch ein bißchen unheimlich. Deshalb erzähle ich Ihnen auch von der Geschichte. Mir wäre nie im Traum eingefallen, Sie zu belästigen, aber ich möchte doch wissen, ob es anderen ähnlich geht wie mir.
Lachen Sie nicht, ich habe meine Gründe für diese Annahme. Ich habe also einen Untermieter, den ich noch nie gesehen habe oder gehört, richtig gehört.
Nur nachts. Nachts höre ich ihn manchmal.
Er spricht sehr leise, fast unhörbar, obwohl seine Stimme direkt in meinem Gehirn ist und ich die Ohren dabei zuhalten kann, ja oft zuhalten muß, um mich ganz auf seine Stimme zu konzentrieren. Stimme ist schon zuviel gesagt. Es ist ein unbestimmtes Flüstern, Zischeln und Raunen. Ich habe große Mühe, ihn zu verstehen, muß oft rückfragen oder gar unser Gespräch abbrechen, aufstehen und mich erfrischen. Manchmal bin ich zu müde oder zu unkonzentriert, dann flehe ich ihn an, das Gespräch zu verschieben. Er willigt ein, ist nie ungehalten, denn er hat Zeit, viel Zeit, mehr als Sie und ich uns vorstellen können.
Vieles von dem, was er erzählt, verstehe ich nicht, erscheint mir wirr und ungereimt, aber ich will es so wiedergeben, wie ich glaube, es wiederholt gehört zu haben.
Er sagt, er sei im ZEITER . Das scheint eine Maschine zu sein, ein Fahrzeug oder so etwas Ähnliches, zugleich aber ein Tor, durch das man ein- und ausreisen kann. Von diesem Ding wurde er aus der Zukunft weit in die Vergangenheit transportiert, dort scheint er aber den Anschluß verpaßt zu haben, nun muß er warten. Er sagt, er sei uralt und doch nicht geboren, er sei noch nicht eigentlich, doch er sei unter uns und überall, sei Sie und ich, Asche und Blatt, Meer und Staub, Sterne und Licht, noch ungeordnet.
Er sagt, ich sei ein Telepath, außergewöhnlich, das sei selten. Ich weiß nicht, ob ich ein Telepath bin, woher sollte ich auch? Ich habe keine Ahnung, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht. Aber er muß es ja wissen, denn er ist uralt und hat viel gesehen und gehört, obwohl er noch gar nicht geboren ist, ich vielleicht sein Urahn bin mit Ur hoch wer weiß wieviel. Wer will das wissen?
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