Science Fiction Almanach 1983
Verrückt, was?
Er hat mir seine Geschichte erzählt, eine seltsame Geschichte. Nachts, wenn die Stadt still ist und unter ihren Dächern schläft, und der Mond voll ist und leuchtend über den Himmel schwimmt, am Rande des Traums, da kann ich ihn hören.
Ich werde mich hüten, meinen Nachbarn von der Sache zu erzählen. Sie würden die Nase rümpfen, mich heimlich auslachen, weil sie es nicht verstehen. Wie sollten sie auch? Sie würden mich vielleicht sogar für verrückt halten und mit dem Finger auf mich zeigen, mir gar Schwierigkeiten machen.
Aber Sie kenne ich nicht, und wenn Sie lachen, so tun Sie es eben, es tut mir nicht weh, und mit dem Finger auf mich zeigen können Sie nicht, weil Sie nicht wissen, wie ich heiße und wo ich wohne. Aber vielleicht ist Ihre Reaktion ganz anders, Sie lachen nicht, atmen erleichtert auf, haben nun endlich die Gewißheit, daß es Ihnen nicht allein so geht, und kennen meine Geschichte nur zu gut, haben auch einen Untermieter, der Sie erschreckt und der Ihnen leid tut.
Oh, ich bin sicher! Es gibt ihrer viele, die warten, bis die erste Maschine erfunden wird, mit der sie in ihre Heimat zurück können, in die Zukunft; auf das Johannesburg-Tor warten sie, wie meiner erzählte. Unser Jahrhundert ist wie ein riesiger, schrecklicher Wartesaal, in dem sie sitzen, unsichtbar, schattenhaft, sich räuspern, manchmal seufzen, eine geflüsterte Unterhaltung versuchen, andere schlafen, nichts interessiert sie mehr, sie haben alles gesehen, viel zu viel. Nun warten sie, bis der erste Zug abgeht, aber es sind noch nicht einmal die Gleise verlegt, auf denen er fahren soll. Schrecklich.
Manchmal suchen sie mit uns ins Gespräch zu kommen.
Vielleicht hören Sie Stimmen. Nachts, wenn die Stadt still geworden ist und der Mond über den Dächern schwimmt, dann hören Sie genau hin.
Am Rande des Traums. Vielleicht …?
Kiara und Hitze.
Und vor den hohen Fenstern der Nachmittag auf dem Flugfeld.
„Es müßte wieder einmal richtig regnen, Gin. Weißt du, so ein richtiger guter Regen mit Gewitter, der alles naß macht, so richtig naß.“
Er sagte gern ‚richtig’ und war einer der letzten alten Beamten des ZEITERS . Er war dick, trug eine sandbraune Uniform und schwitzte stark. Seine Uniform war ausgebleicht, hatte fast die Farbe des Staubs auf den Blättern und dunkle Flecken vom Schweiß. Sein kahler Schädel war rot gebrannt von der Sonne, und das alte Gesicht lachte mit tausend Fältchen.
„Gewitter sind hier nicht gestattet, Chef. Elektrische Entladungen in der Atmosphäre wären eine Katastrophe für den ZEITER . Das wissen Sie so gut wie ich, Chef. Das Wetteramt wird in diesem Distrikt nie Gewitter zulassen.“
Gin war groß und schlank. Er bewegte sich kraftvoll und geschmeidig und schwitzte nicht. Seine Haut war glatt und seine Stimme etwas farblos. Sein Körper bestand aus Metall und Plastikgewebe. Er war Androide.
„Ja, ich weiß, leider. Nur Sonne und wieder Sonne. Sie produzieren kein Lüftchen, diese Scheißkerle, und wenn wir in diesem Kasten verschmachten. Ich wünschte mir, es würde mal regnen, allen Verboten zum Trotz. Wie die dumm schau’n würden.“ Er stellte es sich vor und rieb sich vergnügt die Hände. „Richtig regnen, daß alles naß wird. Kannst du dir das vorstellen, Gin, alles so richtig naß?“
„Natürlich, Chef, aber mein Organismus reagiert auf Feuchtigkeit weniger erfreut. Meine Vorfahren kommen nicht aus dem Wasser wie die von euch Menschen.“
„Ihr Schrotthaufen seid wasserscheu wie die Katzen, ich weiß. Aber ich werde mir heute noch ein Gewitter suchen. Ein richtiges Gewitter, mit Sturm und Regen. Reich mir die Wetterkarte.“
„Ja, Chef.“
Ein Schiff tropfte auf das Flugfeld, und der Lautsprecher schreckte den Nachmittag auf. Er floh in die Wüste, und die große
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