Science Fiction Almanach 1983
drangen, fühlten sie sich an wie die langen Finger einer zärtlichen Hand im Haar.
Er begann zu fliegen.
Es wurde dunkel und kalt, und er flog immer schneller.
Korridore der Zeit.
Nur der leichte Griff der Hand im Haar hielt ihn in der Dunkelheit, hielt ihn, damit er nicht falle und verlorenginge.
Er flog weiter und weiter über Ebenen aus Asche und Nacht, dorthin, wo sein Körper noch Staub war und Blatt und Blume und Tier, du und ich. Sterne und Licht und alles zugleich, ungeordnet.
Er lag ohnmächtig zurückgelehnt in der Zelle, während der irisierende Punkt im Zentrum, der sein Ich war, ist, sein wird, über Relais und Verzweigungen durch elektronische Muster jagte, die es überlagerten und verstärkten, flog und flog über Ebenen von Asche und Nacht.
Schlaf und matter Reflex.
Kiara und Hitze.
„Gin, schau dir das an. Hast du schon einmal Bücher gesehen, richtige Bücher?“
Er griff in die große abgeschabte Reisetasche, die der Fremde auf dem Schaltertisch hatte stehenlassen.
„Richtige Bücher, sicher uralt.“ Behutsam hob er eins hoch und schnupperte daran. „Sie riechen nach Ichweißnichtwas.“
Er blätterte darin, aber die Zeichen waren ihm unbekannt. Er schüttelte den Kopf.
„Ein seltsamer Mensch, Gin. So fremd wie seine Bücher.“
„Menschen sind alle seltsam“, meinte Gin einsilbig und verfolgte den Lichtpunkt auf der Zeitlinie.
„Meinst du?“
Der Nachmittag hatte sich wieder auf das Flugfeld gewagt und strich neugierig um das fremde Schiff und die offenen schattigen Tische des Restaurants.
Der Lichtpunkt auf der Zeitlinie war im Zielgebiet erloschen. Gin drehte sich plötzlich um.
„Chef, ich hab’s.“
„Was hast du?“
„Ich bin dem Datum nachgegangen, es kam mir bekannt vor. Jetzt habe ich’s. Es hieß, es sei einer geboren, der die Welt …“
„Na, was denn?“
„17 346 war deshalb der Beginn einer alten Zeitrechnung dieses Planeten; sie knüpfte an ein kulturelles oder religiöses Ereignis an.“
„Na und? Um so mehr ein Grund für Historiker oder Soziologen, sich dort umzusehen. Vielleicht ist er Raumfahrthistoriker, das ist doch jetzt große Mode.“
„Meines Wissens gibt es in jenen Jahrhunderten noch keine Raumfahrt.“
„Na ja, irgend etwas wird er schon wollen. Es geht uns ja auch nichts an. Aber ohne Grund wird er wohl kaum 3 000 Jahre Wartezeit in Kauf nehmen. Das ist kein Vergnügen, das kann ich dir versichern, Gin. Für mich wäre das nichts mehr, obwohl ich schon einiges erlebt habe entlang der Zeitlinie.“
„Ich möchte auch gerne Zeiten.“
Gin sagte es fast sehnsüchtig.
„Das würde noch fehlen. Das geht bei euren Schwachstromgehirnen glücklicherweise nicht, sonst müßten wir euch Schrotthaufen auch noch in den Jahrtausenden zusammenklauben. Aber sag mal …“, er wandte sich erstaunt um“, … welcher schwachsinnige Elektroniker hat denn dir solche ausgefallenen Wünsche einprogrammiert?“
„Nicht alles, was ich bin, denke oder fühle, ist programmiert“, sagte Gin. „Sie scheinen zu vergessen, daß ich zu den entwicklungsfähigen Modellen gehöre.“
„Na, dann entwickle dich mal schön“, sagte der alte Beamte lächelnd. „Ich lasse mich lieber heute als morgen pensionieren, aber wer steigt dann in die Kiste und holt die Leute heraus, die der ZEITER irgendwo versiebt hat?“
„Man ist dabei, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem man auch positronische Gehirne abgreifen kann, ohne sie zu zerstören.“
„Ich hoffe es, Gin, denn ich habe wahrhaftig genug. Ich bin alt. Tausend Jahre im Dienst des ZEITERS . Für den ZEITER , ein Nichts, eine Null mehr auf der Skala, aber für mich eine ganze Menge.“
„Ja, Chef.“
Der ZEITER hatte einen Leitfaden ausgeworfen und wartete in der Johannesburg-Epoche.
Als der Fremde
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