Science Fiction Almanach 1983
im Alltag geschieht.“
Ein abschwellender Pfeif ton signalisierte die Ankunft.
„Wir bleiben einfach sitzen und fahren wieder zurück“, schlug Tessa vor. „Wir haben ohnehin Retourchips.“
„Düne, Düne“, verkündete der Stimmautomat nach dem Stop.
„Mir geht Jill nicht aus dem Kopf“, sagte Tessa. „Sie war tatsächlich nicht im Hotel. Ich habe es nachgeprüft.“
„Da fällt mir ein – als ich Jill bei unserem ersten Treffen im Aquarium fragte, wo ich sie erreichen könne, sagte sie nicht, ich solle sie im Offshore-Hotel anrufen …“
„Sondern?“
„ Benutzen Sie die Linmot-Bahn. Warum?“
Tyra erriet die Antwort der Freundin im voraus. Weil sich über die Stations-Monitoren alle Transfer-Passagiere kinderleicht überwachen ließen.
„Kannst du Jill wirklich blind vertrauen?“
„Blind? Ich muß mich mit einem ‚einäugigen’ Vertrauen begnügen.“ Tessas Galgenhumor wirkte nicht sehr erheiternd.
„Bitte legen Sie zum Start die Sicherheitsgurte an. Sie werden eine klare Sicht haben. Wir wünschen guten Transfer“, schepperte der Stimmautomat erneut. Die Mädchen verzichteten darauf, die Schalensitze in Fahrtrichtung zu drehen.
Tessa überlegte. Vielleicht hätte sie ganz kühl an die ganze Aktion herangehen müssen. Aber sie hatte gehofft, gerade durch ihren Aggressionsdruck die Funktionärin zu einem Fehler zu verleiten. Und das hatte sie letztlich erreicht – Argos Geständnis. Auch wenn es umgehend in den Mädchenköpfen wie eine Tonaufnahme gelöscht wurde. Tessa nahm sich vor, nicht mehr wie die Jägerin zu denken, sondern wie die Gejagte. Wie das Wild, hinter dem man her ist. Wie der Fisch, nach dem man den Angelhaken auswirft.
Auch Tyra suchte nach Argumenten. Tessa wollte den Mädchen die Augen öffnen, damit sie nicht wie eine blinde Schafherde die Schlächter auch noch mit freudigem Blöken begrüßten. Aber was hatte Jill dazu veranlaßt, sich auf Tessas Seite zu stellen? Die Transplantation hatte ihrem Bruder Lars doch tatsächlich das Leben gerettet. Folglich mußte sie nicht nur der Spenderin, sondern auch der Organisatorin, der Großmeisterin, dankbar sein.
„Was ist stärker als Dankbarkeit? Vielleicht entdecken wir Jills Motiv?“ Nun fing Tyra zu bohren an.
„Stärker als Dankbarkeit?“ Tessa rückte nervös ihre Augenklappe zurecht, bevor sie halblaut nachzudenken begann. „Haß … Liebe … Sexualität … Egoismus … Angst … Selbsterhaltungstrieb …“
„Neid, Begierde, Profitgier“, setzte Tyra fort.
Das Wort ‚Glück’ fehlte in der Liste der Aufzählungen. Glück zählte nicht zum lebendigen Erfahrungsbereich der Finalistinnen.
Während ihres leise und schnell geführten Dialogs vermieden es die Freundinnen, sich anzusehen. Der Schein des Unverfänglichen mußte gewahrt bleiben.
„Wie aber paßt Jill unter dieses Raster?“ wollte Tessa wissen.
Tyra erinnerte daran, daß sie von der Dankbarkeit ausgegangen seien, und warf die Frage auf, wer in diesem Organ-Schach, in dieser Organ-Schacherei, der Großmeisterin keinen Dank zollen müsse.
Tessa versuchte den Kloß aus ihrem Hals zu räuspern. „Die Großmeisterin selbst!“
„Genau!“
„Nimm das nicht so ernst. Ich versuchte nur, einen Witz zu machen!“
„Und ich versuchte nur, den Gedankengang logisch zu Ende zu führen.“
Tessa ergriff impulsiv die Hände der Freundin, die mühsam einen Schmerzenslaut unterdrückte.
„Aber Tyra, wenn du recht hast, hieße das doch … daß die Großmeisterin und Chefin dieses ganzen obskuren Unternehmens keine andere ist als …“
„Ich fürchte, mir wird übel!“ Tyra kramte ein Taschentuch hervor und preßte es vor den Mund.
Der
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