Science Fiction Almanach 1983
abschwellende Pfeifton signalisierte das Ende der Rückfahrt.
„Wir müssen aussteigen, sonst fallen wir auf.“ Tyra ließ das Taschentuch sinken. Ihre Unterlippe begann zu brennen. Sie fühlte sich dick und pelzig an.
„Ober-land, Oberland!“ schepperte der Stimmautomat.
„Komm, raus hier!“ zischte Tessa. Andere Fahrgäste schimpften wegen des Gedrängels.
Als sie auf den Vorplatz traten, kam Jill ihnen lächelnd entgegen. „Hallo! Da seid ihr ja endlich! Hattet ihr euch soviel zu erzählen, daß ihr mit der Schwebebahn spazierenfahrt?“
„Wir …“ Tyra suchte vergeblich nach einer Ausrede.
„Was willst du von uns?“ fragte Tessa aggressiv.
„Was willst du, was willst du?! Sind wir plötzlich Fremde?“ Jill griff freundschaftlich nach Tessas Arm.
Ein Möwenschwarm kreischte gierig durcheinander. Trotz der Verbotstafeln warfen einige Besucher Brotkrumen in die Luft. Den besten Kunstflugdarbietungen der gefiederten Abfangjäger wurde laut applaudiert.
Tessa hätte sich am liebsten beide Ohren zugehalten. „Abschießen sollte man diese Biester. Alle Möwen abschießen!“ stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
Jill Larsson ermahnte sie, sich nicht aufzuregen.
Tyra fragte, wohin Jill sie denn führen wolle.
„Zum Falm! Es wird einen tollen Sonnenuntergang geben.“
Im Augenblick waren Tyra alle Sonnenuntergänge der Welt schnuppe. Und von dem Herumhetzen hatte sie auch die Nase voll. Aber sie konnte und wollte Tessa nicht allein lassen, also trottete sie hinterher. Den Düsenjäger weg ließen sie rechts liegen. Weiter ging es in Richtung Norder Falm. Auf der Höhe der Meerwasserentsalzungsanlage im Untergrund ragten am Klippenrand die schrägen Zisternendächer der Wohnspiralenkolonie auf. Trinkwasser galt von alters her auf Forsetisland als Kostbarkeit. Linkerhand zweigte ein Pfad zur Vogelwarte ab. Aber die bildete nicht Jills Ziel. Obwohl es ein herrlicher Sommer abend zu werden versprach und der Wind nur mäßig wehte, begann Tyra unter ihrem Rollpullover zu frösteln. Die Ahnung einer unheimlichen Bedrohung griff nach ihr. Mach dich nicht selbst verrückt, das tun bereits die anderen !, tadelte sie sich im stillen und bemühte sich, einen klaren Kopf zu behalten. Noch gab es keinen sicheren Beweis für die aufgestellten Hypothesen!
Tyra blickte sich mehrmals um, doch niemand Verdächtiges folgte ihnen. Um sich abzulenken, versuchte sie die Vegetation am Wegrand zu bestimmen. Einige Namen waren ihr sogar geläufig: die Strandkamille mit ihren großen, weißen Blüten, die Pfeilkresse und der gelb blühende Klippenkohl.
Forsetisland, Helgoland, heidnisches Heiligland, ging es ihr durch den Kopf. Nothafen, Schmugglerhochburg, Inselfestung unter wechselnden Flaggen und Nationalitäten, Ziel Tausender britischer Bombenflugzeuge während des Zweiten Weltkriegs und danach. Der Versuch, das „Gibraltar des Nordens“ – zwei Jahre nach Friedensschluß – mittels sechstausendsiebenhundert Tonnen Munition von allen Land- und Seekarten auszulöschen, scheiterte an der Porosität des Buntsandsteinmassivs. Seither wurde von einem neuen Inselprofil und einem neuen Siedlungsbeginn gesprochen. Der alte Flakleitstand trug das neue Leuchtfeuer, das lichtstärkste in der Deutschen Bucht. Die „Lange Anna“, die mächtige Pylone am Nordhorn und Wahrzeichen des Seebades, trotzte unter ihrem Millionen teuren Metallglasüberzug allen zerstörerischen Kräften der Natur.
Tyra hatte mehrere Berichte in der Inselinformation über das wechselvolle Schicksal der roten Felsscholle gehört. Und die Bilanz? Von Störtebekers
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