Science Fiction Almanach 1983
soll. So wie jetzt, am Ende der Show, jetzt, wo das Licht nur noch auf Haut trifft und die Zeit mal wieder um ist. Pünktlich. Ein Lächeln, ein Blick. Ein Lächeln, das nur dann ehrlich scheint, wenn es nicht dir gilt, sondern einem der anderen Mädchen an der Bar. Ein Lächeln, das so etwas wie stummes Verstehen ausdrückt, eine unausgesprochene Hilfe in der Einsamkeit des Augenblicks. Dann die sich schließenden Spiegeltüren und die leere Bühne. Nur die Musik bleibt und verschlingt weiter Schweigen und Worte.
Du blickst dich um. Da ist die Bar mit den halbvollen Gläsern und dem Zigarettenrauch, den die Schein werf er bahnen in grauen Nebel wandeln. Und da sind die Menschen. Schweigend, blaß, mit unsicheren Blicken und verlegenem Lachen. Menschen vor einer Entscheidung, einer endgültigen Entscheidung. Langsam gehst du die Treppe hinauf, langsam und mit tastenden Schritten quer durch das Halbdunkel, den betäubenden Rhythmus und deine Angst. Du spürst die Blicke in deinem Rücken, und dein eigenes Spiegelbild begleitet dich in den Wänden und dem silberhellen Geländer – verzerrt bis zur Unkenntlichkeit, aber es ist da und verläßt dich nicht.
Dann stehst du schließlich auf dem Gang, an die Spiegelwand gelehnt, und deine Augen suchen das tiefe Schwarz der Decke. Sie suchen das Schwarz der Decke, um der Musik, den Stimmen aus den Bändern der Video-Anlagen, dem Geschehen auf den Bildschirmen und den Augen und den Fragen entgehen zu können. Das Blut hämmert im unentrinnbaren Rhythmus der Musik durch deinen Kopf, deine Hände ballen sich zu Fäusten, aber du hast eine Entscheidung getroffen, und es gibt kein Zurück. Jetzt nicht mehr.
Plötzlich spürst du Augen in deinen Augen, eine leichte Berührung von blonden Haaren und ein Flüstern. Du hörst die Worte, aber du nimmst sie nicht wahr. Du versuchst zu lächeln. Es gelingt nicht. Sie aber kann lächeln. Ein Lächeln, irgendwo zwischen Wahrheit und Lüge, Gefühl und Geschäft.
Du fragst dich nach ihren Gedanken und wirst doch keine Antwort finden, weil deine naiven Hoffnungen das kalte Wissen besiegen müssen. Müssen.
Du willst ihren Augen entfliehen, entfliehen, entfliehen, aber sie ist stärker. Du spürst, wie ihre Blicke in dich eindringen, wie ihr Lächeln dich wehrlos macht, und schließlich bist du bereit, alles zu glauben.
Du folgst ihr.
Hinaus aus der Welt der Spiegelwände, hinaus auf einen dunklen Flur, der seine Vergangenheit nicht verleugnen kann. Holzstufen. Weiße Wände. Stille. Ein Gefühl von unverständlicher Geborgenheit in Erinnerung. Holzstufen. Stille. Dann ein Flur, viele Stufen über der Spiegel weit, weiße Türen. Und die Nummern an den Türen machen dir wieder bewußt, daß du nur noch Teil einer festen unentrinnbaren Handlung bist. Du willst etwas sagen, irgendetwas, vielleicht ein Wort der Entschuldigung, aber du sagst nichts. Du schweigst und betrittst hinter ihr das Zimmer.
Sie wendet sich um, und du stehst wieder hilflos vor ihren Augen und ihrem Lächeln.
„Übrigens“, sagt sie leise, „ich heiße Monika.“ Dabei fährt ihre linke Hand langsam über ihren fast nackten Körper. Aber das siehst du nicht. Du siehst nur ihre blonden Haare, ihre dunklen Augen und ihr Lächeln. Du bist naiv. Du glaubst an die Wahrheit und nicht an die Lüge.
Als du dich schweigend ausziehst, wird dir wieder die Endgültigkeit deiner Entscheidung bewußt. Der Brief in deiner Tasche fällt dir ein. Der Brief mit deiner Unterschrift, als Beweis und letzte Bestätigung deines festen Willens. Du hast lange gebraucht für diese Entscheidung, und vielleicht ist dieses jetzt die allerletzte Chance, ihr doch noch zu entgehen. Aber warum solltest du? Also gibst du dem lächelnden Mädchen das Geld und siehst ihr nicht in die Augen.
Um dich herum ist die kahle
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