Science Fiction Jahrbuch 1983
Nominierungslisten für den „Hugo“ oder den „Nebula“ landete und mehrmals auch mit diesen Preisen bedacht wurde. Neben einer großen Anzahl von einzelnen Kurzgeschichten in Magazinen und Anthologien erschienen von George R. R. Martin in der Bundesrepublik der Roman „Die Flamme erlischt“ (Droemer Knaur) sowie die Storysammlung „Lieder von Sternen und Schatten“ (Goldmann) und „Die zweite Stufe der Einsamkeit“ (Moewig).
Seit Jerry in Uptown wohnte, hatte er Dinge erlebt, von denen man in Orten wie Forest Park und Wilmette nicht einmal träumte. Aber ebenso hatte er gelernt, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern. So war es kein Wunder, daß er keinen zweiten Gedanken an den Typ mit der Nadel verschwendete, bis er die Bullen vor den Treppen seines Hauses antraf.
Er hatte ja auch wirklich noch nichts Verdächtiges gesehen. Es war in einer Freitagnacht geschehen, und Jerry war unten in der Rush Street gewesen, um abzuchecken, was dort in den Single-Kneipen so los war – mit einem bemerkenswerten Mangel an Erfolg. Er hatte einige Michelobs zuviel getrunken, war nahe daran zu lallen und beschloß nach Hause zu gehen, als die süße Brünette, mit der er die ganze Zeit geredet hatte, mit einem anderen abzog. Er nahm die Hochbahn zurück nach Argyle, starrte schwermütig auf die verwitterten, verrußten Ziegelsteine und die schmutzigen Scheiben der Gebäude nahe den Gleisen, die immer wieder aufleuchteten und düstere Schatten auf die Mauern der Mietskasernen warfen, wenn blau weiße Funken aus der Stromleitung schlugen.
Von der Haltestelle Argyle war es nur noch ein kurzes Stück bis zu dem Sechs-Parteien-Haus, in dem Jerry sich eine Wohnung mit drei anderen teilte. Auch nach Mitternacht war Argyle noch sehr lebendig: Country Music schallte aus den geöffneten Türen der Redneck-Kneipen, undeutliche weibliche Silhouetten räkelten sich in den Fenstern ihrer Etablissements, und die 24-Stunden Kaffeehäuser waren geöffnet und gefüllt. Jerry mußte über einen Penner steigen, der ausgestreckt vor einem Kolonialwarenladen lag. Ein zweiter gesellte sich in Höhe des Drugstores zu ihm, murmelte etwas mit seiner krächzenden Stimme, schreckte aber zurück, als Jerry ihm einen wütenden Blick zuwarf. Das war vielleicht eine Nachbarschaft! „Es gärt“, pflegte Jerry immer zu sagen. Hinterwäldler, Spanier, Schwarze und jede Menge Orientalen lebten Seite an Seite zusammengepfercht und haßten jede Minute ihres Daseins. Auf der anderen Seite von Sheridan, entlang dem Marine Drive, standen die Hochhäuser, in denen Jungverheiratete Paare und Singles wohnten. Der Anstand knabberte an den Ecken des Viertels, verschluckte die alten, überbelegten Mietshäuser und spuckte renovierte neue aus, aber Jerry wußte, daß dieser Verdauungsprozeß noch lange, lange Zeit andauern würde.
Gemessen am Durchschnitt in Chicago waren hier die Mieten noch billig. Jerry war seit kurzer Zeit freischaffender Journalist, also finanziell sehr schlecht gestellt. Andererseits meinte er, die Schattenseiten des Lebens zu benötigen, das Kochen und Blubbern, und davon hatte Up-town wirklich genug.
Der kürzeste Weg von der Bahn zu seinem Haus führte durch eine Seitenstraße am Rande von Sheridan direkt zu den Hintertreppen. Die Seitenstraße war sehr dunkel, aber das machte ihm schon lange nichts mehr aus. Man brauchte sich Jerry nur anzusehen, um zu wissen, daß sich ein Überfall auf ihn nicht lohnte. Also bog er auch an diesem Freitagabend, wie schon tausendmal zuvor, in die Seitenstraße ein, und dort sah er den Typ mit der Spritze.
Es war nichts Weltbewegendes. Der Kerl war
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