Science Fiction Jahrbuch 1983
Entfernteste meiner Verwandten? Gut, du mußt ganz, ganz verrückt sein nach Rache, bevor ich dir helfen kann, und du mußt schwören, meinen Preis zu bezahlen.
„Alles“, sagte sie leidenschaftlich. „Aber wie kannst du, der du durchsichtig, körperlos, ohne Substanz bist, mir die Rache bringen, die ich begehre?“
Das soll dir verkündet werden, wenn du mein Schwert nimmst. Gibt es einen Preis, den du nicht bezahlen würdest?
„Keinen“, flüsterte sie. „Ich schwöre es.“
Ein Schwert. In der Kindheit hatte sie an den Unterrichtsstunden ihres Bruders im Schwertkampf teilgenommen, sie hatte Wild gejagt und getötet. Dachte er, sie würde beim Anblick des Blutes eines Gegners zurückweichen?
Folgendes ist es, worum ich bitte, sagte er, und seine Lippen bewegten sich nicht. Mein Schwert will das Blut des Usurpators schmecken. Schwöre, daß du mein Schwert mit ihrem Blut füttern wirst, und es wird dein sein.
„Ich schwöre es bei meinem Leben“, sagte sie laut und schaute dann besorgt den Hang hinunter, da sie fürchtete, der Leibwächter könnte sie mit sich selbst reden hören.
Wenn das stimmt, dann geh zur Kapelle der Vier Winde und wiederhole dort deinen Eid. Dann nimm, was du dort findest.
Wahnsinn. Mhari raffte ihre Röcke zusammen und floh hinunter. Als sie zurückblickte, sah sie, daß der fremde Jüngling nicht mehr da war … War er überhaupt je dagewesen? Gewiß nicht. Sie war verrückt.
Und doch – wenn er nicht mehr als eine Stimme in ihrem Geist gewesen war – warum sollte sie dann zur Kapelle geschickt werden, um zu schwören? Der Eid einer Irren konnte überall entgegengenommen werden!
Sie brauchte nur ein paar Dutzend Schritte zu laufen, als sie bemerkte, daß ihr der Mann, der ihren Schritten folgte, dicht auf den Fersen war. Er sagte, und seine Stimme war dabei eine eigenartige Mischung aus Frechheit und Unterwürfigkeit: „Wohin geht Ihr, Domna Mhari?“
„Zur Kapelle“, sagte sie mit bebender Stimme, „um für meine toten Angehörigen zu beten. Wagst du es, mich aufzuhalten?“
Er trat zur Seite, neigte den Kopf und ließ sie ihm vorausgehen. An der Tür der Kapelle der Vier Winde trat sie gebieterisch an ihm vorbei.
„Warte draußen, Bursche! Sonst werde ich die Geister der Toten herabrufen, dich zu plagen!“
„Geister!“ schnaubte er, wobei er durch seinen gesamten großen Bierbauch lachte, aber er zuckte schließlich mit den Schultern, lehnte sich gegen die Wand. „Es gibt keinen anderen Weg hier heraus, Domna. Betet in Frieden, ich werde warten.“
Sie war gelehrt worden, sich nur dann in der Kapelle zu zeigen, wenn sie gewaschen und in ihr Bestes gewandet war – dies war nicht mehr als Respekt vor den Göttern. Doch sie wußte in ihrem innersten Herzen, daß es keine Rolle spielte. Und wenn sie verrückt war, welchen Unterschied machte es? Sie ging hinein, blickte sich dabei nach den flackernden Lichtern um – alten, leuchtenden Steinen –, in deren blassem Schimmer sie die Gemälde deutlich ausmachen konnte, die über den Altären der Vier Winde hingen. Avarra, dunkle Mutter der Geburt und des Todes. Evanda im Frühlingsgrün ihrer Blumen. Aldones, von der Sonne hinter seinem Kopf strahlend. Zandru, mit den Waagschalen der Wahl, Gut und Böse im Gleichgewicht ausgewogen. Sie kniete vor den Hauptaltar, und ihre ganze Seele bebte von der Leidenschaft, die sie durchfuhr.
Ich will Rache! Ich schwöre es!
Langsam begann sie auf dem Altar vor ihren Augen ein frostähnliches Leuchten wahrzuzunehmen, blaß, schimmernd, wie der fahle Glanz, der den fremden Laranzu umgeben hatte.
Da war die Form eines Schwertes, wo vorher kein Schwert gewesen war.
Greif zu, sagte die Stimme des Fremden, obgleich sie ihn nicht sehen konnte. Nimm das Schwert.
Ihr Herz klopfte so fest, daß sie
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