Science Fiction Jahrbuch 1983
und in der Verwirrung die Vögel freizulassen; selbst ohne eine schriftliche Nachricht – wenn drei Dutzend Vögel freigelassen wurden, könnte ein Dutzend ankommen, und man würde wissen, daß hier etwas nicht stimmte.
Bewacht, Tag und Nacht, und Zugang zu den Ställen bekommen? Eher könnte sie versuchen, den Hohen Kimbi in ihren weichen Sommersandalen zu erklettern!
Hoffnungslos also, hoffnungslos … Ich kann noch nicht einmal meinen Bruder und seinen Vertrauten warnen, ganz zu schweigen davon, sie zur Rache zu führen! Sie schlug die Luft in zorniger Verzweiflung.
Götter! Wenn es überhaupt Götter gibt, wo seid ihr jetzt? Ich würde mein Leben und meine Seele für die Rache verpfänden! Sie ballte die Fäuste, wobei sie zu den bleichen Flächen der Mondscheiben hinaufstarrte. Omen, Vorzeichen, Götter, wozu seid ihr gut? Rache, Rache, mein Leben für die Rache! Es kam ihr so vor, als könne sie die Intensität ihrer Worte sehen, und sie zitterten in ihrem Herzen, wie ihre Hände zitterten, zitterten durch den leeren Raum, den die getrockneten Tränen und das Trauern hinterlassen hatten. Sie schrie es laut.
„Götter! Hört mich! Götter oder alle Dämonen!“
Stille. Sie hatte keine Antwort erwartet. Stille senkte sich um sie, bis auf das Wiehern eines Pferdes irgendwo, das ferne Bellen eines Hundes, das Rascheln eines kleinen Tieres im Gras. Sie zitterte – es war kalt. Sie fühlte sich leer, geistlos, als ob der Tod in sie gefahren wäre, dorthin, wo Trauer gewesen war, eine Taubheit, schlimmer als alle Tränen der vergangenen vierzig Tage. Sie machte einen tiefen, bebenden, müden Atemzug. Jetzt bald, da die Monde höher stiegen und sich die Dunkelheit verdichtete und herannahte, würde ihr gewalttätiger Leibwächter sich ihr nähern und sie zu dem Schicksal hinuntergeleiten, das sie erwartete, vor dem sie, nahm sie an, resignieren würde, wenn sie nicht irgendwo genügend Glück haben konnte, um zu sterben. Sie konnte auf keine größere Rache an Narthen hoffen, als bei der Geburt seines ersten Kindes zu sterben, so daß er keinen Sohn einer Delleray haben würde, um seine Lügenbehauptungen damit zu untermauern.
Werde ich also mein Leben geben zur Rache? Werden so die Götter meine Gebete erhören?
Ich weiß nichts von Göttern oder Gebeten, sagte eine Stimme in ihrem Geist, aber wenn du dich wahrhaft für die Rache hingeben willst, werde ich dir helfen.
Mhari fuhr auf und starrte wild um sich, fragte sich verwundert, wer gekommen war, ihr Gebet zu erhören.
Sie war allein auf dem halbdunklen Hang. Dann entstand ein mildes Schimmern in der Luft, ein bleiches, bläuliches Leuchten, und ein Mann – ein Mann? – stand vor ihr.
Er war groß, mit dem rostbraunen Haar und den schlanken, scharf geschnittenen Zügen eines Laranzu, eines Hexers; ein Ring glänzte an seinem Finger, und er war bleich wie Frost, und Schnee lag auf seinem Haar, und seine Augen enthielten den metallischen Schimmer von Eis. Sie starrte ihn an, dann schockiert auf den trödelnden Leibwächter, der hätte her auf stürmen müssen, um sich mit seinem Körper zwischen die Frau des Anführers und jeden männlichen Fremden zu stellen.
Dann stellte sie fest, daß sie Felsen, Bäume, sogar Steine und Gras durch seinen Körper sehen konnte.
Nun, er war nicht wirklich da. Ihr Verstand war endlich entzweigebrochen, dies war nicht mehr als ein beruhigender Traum, eine Illusion …
Rache, sagte der Fremde, und einen Moment lang – so deutlich war dieses Wort – schaute sie schuldbewußt den Hang hinunter, da sie befürchtete, der Leibwächter müsse es gehört haben. Doch da war kein Geräusch, bis auf das Summen einiger kleiner Insekten im Gras.
Zweifelst du an deinem Verstand, Mhari,
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