Science Fiction Jahrbuch 1983
zurück, da sie spürte, daß sie einen Punkt jenseits der Tränen erreicht hatte.
Unter ihr an den Hängen stand noch immer das Schloß, und das letzte karmesinrote Licht von Darkovers roter Sonne lag wie Blut über den alten Türmen. Drei der vier Monde standen am Himmel; während sie zusah, kroch der vierte langsam über die Bäume empor. Vier Monde am Himmel; eine Zeit der Vorzeichen und der Fremdartigkeit. Was unter vier Monden getan wird – so lautete das alte Sprichwort –, braucht nie erinnert oder bereut zu werden. Vielleicht konnte sie in dieser Zeit der Vorbedeutungen irgendwie erfahren, wie sie sich dem stellen konnte, was von diesem Tage an, da sie endlich die Tiefen des unauslotbaren Brunnens ihres Kummers erschöpft hatte, ihr Leben sein mußte.
Es gab immer eine Wahl, so kreisten ihre Gedanken. Ich kann so leben, wie ich jetzt leben muß, resigniert, Kinder gebären für Banditen – ihre Zunge verweigerte den bloßen Namen –, einer Dynastie wachsen helfen, Narthen von Sain Scarp, wo einst der Sitz der Delleray gewesen ist. Leidenschaftslos überlegte sie dies. Manche Frauen waren einem schlimmeren Schicksal begegnet – ihre eigenen Schwestern, ihre Mutter –, und keine Trauer und kein Kummer konnten die Toten ins Leben zurückbringen, Farren Delleray wieder auf seinen hohen Thron einsetzen oder ihre Brüder auf den Platz stellen, den ihr Vater für sie geschaffen hatte. Sie lebte, und andere waren gestorben – sollte sie dieses Schicksal akzeptieren und sich an Sonne und Wind und dem Leben in ihren Adern erfreuen, wo soviel Leben zum Schweigen gebracht worden war? Würde sie eines Tages für ihre Söhne Stolz empfinden, wenn nicht gar am Vater ihrer Söhne, und so einen Kompromiß mit Schicksal und Unvermeidlichkeit schließen?
Nein . Das hieße, niedriger sein als der geringste der treuen Diener, die Vater und Lord und Anführer in die Stille des Todes gefolgt waren. Die Gesichter jener, die für Sain Scarp gestorben waren, wären ihr für immer ein Tadel über das Grab hinaus, sollte sie ein solch trügerisches Vergessen suchen. Besser als das war, den Getreuen zu folgen und sie an den Gestaden des Todes aufzusuchen. Sie wurde jetzt nicht mehr so aufmerksam beobachtet; irgendwie könnte sie an das Mittel zum Tod gelangen. Ihre kleinen Hände konnten vielleicht nicht den Dolch der Rache gegen den Usurpator und Frauenschänder führen, doch sie würden ausreichen, eine Vene in ihrer Kehle zu öffnen, und der rasche Tod, den sie an jenem Tag begehrt hatte, ein saubererer Tod als der ihrer Schwestern und ihrer Mutter, würde ihr nicht mehr entgehen. In Ehre zu sterben, wenn das Leben nicht mehr ehrbar war – das war einer Tochter von Delleray von Sain Scarp würdig.
Nein. Das hieße, ein für allemal jeden Gedanken daran, Vater und Angehörige, Mutter und Schwestern zu rächen, aufzugeben. Das hieße, nichts zu tun, sich demütig dem Schicksal zu fügen, das sie irgendwie am Leben erhalten hatte. Warum hatte sie überlebt, als sie dem Tod begegneten? Sicher hatten die Götter – wenn es überhaupt Götter gab – ihr Leben für etwas anderes als dies gerettet.
Und doch … Mhari schaute verzweifelnd auf den belebten Hof hinunter, der unter ihr lag. Von dort, wo sie saß, sahen die Menschen und Pferde im Hof wie Spielzeugfiguren in der Papierburg eines Kindes aus. Es sah nahezu so aus, wie es ausgesehen hatte, als ihr Vater dort regiert hatte … Außer daß ihr Vater niemals solch einen Haufen von Bösewichtern und Halsabschneidern aufgenommen oder gar dienstvereidigt hätte. Nur die Götter wußten, wo Narthen solch eine Ansammlung von Scheusalen gefunden hatte! Und wie er über sie regierte – nur dadurch, daß
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