Science Fiction Jahrbuch 1983
er ein größeres Scheusal als alle anderen war!
Fliehen? Sie wurde Tag und Nacht bewacht. Auch momentan lümmelte sich ein stämmiger Schurke unterhalb von ihr auf den Hängen, schnauzbärtig, einen großen Schwertschmiß auf der Wange, der geschätzteste Schurke von allen Halsabschneidern Narthens – die Frau des Anführers zu bewachen, ein einträglicher Ruheposten, der diesem Mann für treuen Dienst gegeben war. Sie war auf dem Hügelhang nur deshalb allein, weil es keinen Ort gab, wohin sie laufen konnte, und niemanden, um sie aufzunehmen, wenn sie es schaffte zu entkommen. Vierzig Vars der ödesten, verlassensten Wege in den Hellers lagen zwischen Mhari und ihren Verwandten in Scaravel, und sie hatte kein Pferd und würde wahrscheinlich auch nicht nahe genug an eines herangelassen werden, um es stehlen zu können; kein Essen, nicht einmal warme Kleidung, um die bitteren Winternächte zu überleben, die bald zwischen Sain Scarp und allen anderen zivilisierten Menschen heranrücken würden. Wenn sie nicht fliehen konnte, bevor die Schneefälle alles zudecken würden, gab es keine Chance mehr bis zur Frühjahrsschmelze, und bis dahin, das wußte Mhari gut, war sie tot oder für immer in Unterwerfung geschlagen – oder ihr Verstand würde in Wahnsinn zerbrechen, und sie würde weiterleben, ein geistloses Etwas mit leeren Augen, das ruhig Narthens Bett teilte und seine Söhne gebar, ohne den Willen zu widerstehen oder auch nur den Gedanken zu wünschen, dies tun zu können.
Entrinnen schien unmöglich, doch die Alternative war schlimmer. Entrinnen vielleicht, um ihre Verwandten auf Narthen zu hetzen und Vater, Mutter, Schwestern, Brüder zu rächen … Alle ihre Angehörigen durch den Verrat Narthens in einer grausamen Nacht niedergemetzelt … Narthen … der schließlich einmal Verschworener ihres Vaters gewesen war und alle Abwehreinrichtungen von Sain Scarp kannte.
Keine nahen Verwandten mehr da, nicht einmal für die Rache … bis auf den einen Bruder, der mit ihren Vettern in Scaravel aufgezogen wurde und nicht vom Tod seiner Angehörigen oder davon wußte, daß Mhari überlebt hatte und wie sie überlebt hatte. Sie gab sich den Gedanken an Ruyven hin, der in Scaravel sicher war. Wenn er es wüßte, würde er zu mir kommen. Und mit ihm sein geschworener Bruder Rafael. Rafael, der in der Mittwinternacht mit mir getanzt und mir zugeflüstert hat und einen Kuß von meinen Fingerspitzen stahl und schwor, er werde in der nächsten Mittwinternacht bei meinem Vater einen Heiratsantrag stellen, damit Ruyven sein Schwager wäre und nicht allein sein geschworener Bruder.
Zur Mittwinternacht, wenn die Pässe frei waren, würden Ruyven und Rafael hierherkommen … Wenn sie noch lebten. Aber bis dahin – sie spürte es – mußte sie für immer in Unterwerfung geschlagen sein. Würde Rafael Narthens Reste nehmen? Ohne Zweifel war sie bis dahin mit Narthens Kind schwanger; das konnte bereits jetzt so sein … Und würde Narthen auch nur einen letzten Delleray leben lassen, damit dieser eines Tages Sain Scarp zurückerobern konnte? Wenn er wirklich nicht in einen Hinterhalt geriet, bevor er die Pässe überquerte …
Wenn ich in Laran ausgebildet wäre oder wenn die Leronis des Haushalts überlebt hätte, würden sie bereits Bescheid wissen, und Angehörige wären schon unterwegs, um mich zu retten …
Aber nein. Es würde keine Rettung geben. Es war unwahrscheinlich, daß sie auch nur einen Moment lang Zugang zu den Botenvögeln erhalten konnte, um einen mit einer kurzen Nachricht an sein Bein gebunden nach Scaravel loszulassen. Obwohl vielleicht – wenn sie es irgendwie schaffen könnte, die Ställe in Brand zu stecken
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