Science Fiction Jahrbuch 1983
alles aufnehmen. Kannst du das mal einen Augenblick für mich halten, ja?“ fragte sie beiläufig und reichte ihm ihre schwere Kameratasche. „Großer Gott, ist das heiß heute! Hat dir der andere Tempel gefallen? Mir war einfach nicht danach zumute, auch noch dorthin zu gehen, ich hoffe nur, daß ich nichts versäumt …“
Der Fahrer, der immer noch daneben stand, sagte leise: „Es wird spät, Mrs. Fahren wir nun in die Stadt zurück?“
„Ja. Natürlich.“ Sie stopfte einen vorwitzigen Blusenzipfel in die Hose zurück, nahm Hilgard die Kameratasche wieder ab und folgte dem Fahrer zum Volkswagen. Hilgard blieb wie angewurzelt stehen und suchte den Parkplatz hilflos nach Chucho und dem alten Ford ab, während er seine weitere Vorgehensweise überdachte. Nach einem Augenblick drehte die blonde Frau sich stirnrunzelnd um. „Ted! Was ist denn los?“ erkundigte sie sich.
Er gab einen unartikulierten Laut von sich und machte mit den Händen eine Geste der Verwirrung. Wahrscheinlich, sagte er sich, hatte er eine Art psychotischer Sinnestäuschung. Oder, andere Möglichkeit, dieser Augenblick der Benommenheit am Tempel von Quetzalcoatl war wirklich ein leichter Hitzschlag gewesen, der ihm einen Teil seiner Erinnerungen genommen hatte. Konnte sie wirklich seine Frau sein? Er war ganz sicher, daß er sein ganzes Leben lang allein gewesen war, abgesehen von den acht Monaten mit Beverly, aber das lag schon ein Dutzend Jahre zurück. Er hatte seine Junggesellenwohnung in der Third Avenue deutlich vor Augen: drei kleine Zimmer, Bilder, eine kleine Sammlung vorkolumbischer Statuetten. Er sah sich mit seinen zahlreichen Geliebten in seinen bevorzugten Restaurants, mit Judith oder Janet oder Denise. Diese große, blonde Frau konnte er allerdings nirgends unterbringen. Und doch … doch …
Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte. Seine Finger begannen zu zittern, und seine Füße fühlten sich wie gefrorene Lehmschollen an. Er ging benommen auf den Volkswagen zu. Der Fahrer, der ihm die Tür offenhielt, bedachte ihn mit jenem geringschätzigen Blick, den er, wie Hilgard meinte, für alle Gringos parat hatte, die schon um die Mittagszeit so betrunken waren, daß sie sich nicht mehr daran erinnern konnten, verheiratet zu sein. Aber Hilgard war nicht betrunken.
Die Frau unterhielt sich entspannt mit ihm, während sie nach Mexiko City zurückfuhren. Anscheinend planten sie, heute nachmittag das Anthropologische Museum im Chapultepec Park zu besuchen, und morgen wollten sie entweder nach Cuernavaca oder Guadalajara weiter, was davon abhing, wer von ihnen beiden eine unbedeutende Mißstimmung beseitigte, die anscheinend schon einige Tage zwischen ihnen herrschte. Hilgard überstand die Unterhaltung, indem er ausweichende und vieldeutige Antworten gab, um sich schließlich mit vorgetäuschter Müdigkeit ganz zurückzuziehen, was er auf die grelle Sonne zurückführte. Nicht lange danach griffen graue Smogfinger nach ihnen. Sie hatten die Außenbezirke von Mexiko City erreicht. Der Fahrer fuhr im vergleichsweise spärlichen Sonntagnachmittagsverkehr ungezwungen den breiten Paseo de la Reforma hinab, bog schließlich scharf in den Distrikt Zona Rosa ein und lieferte sie vor der schlanken, schwarzweißen Fassade des Hotel Century ab. „Gib ihm ein ordentliches Trinkgeld, Liebling“, bat ihn die Frau. „Wir haben ihn länger aufgehalten, als eigentlich ausgemacht war.“
Hilgard hielt dem finster blickenden Mann einige Tausend-Peso-Scheine hin, winkte ab, als dieser herausgeben wollte, und folgte der Frau ins Hotel. In der kleinen Empfangshalle sagte sie: „Hol den
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