Scriptum
hatte er eine Sauerstoffmaske vor
dem Gesicht, neben dem Bett stand eine geräuschvoll pumpende Maschine. Am schlimmsten war seine Haut, die totenbleich schimmerte.
Mavromaras half ihr zu einem Stuhl. Noch immer regnete es. Der Arzt berichtete, die Fischer hätten sie und Reilly gefunden,
als sie ihre Boote im Osten der Insel überprüften. Sie hatten sich durch das tückische Wetter und die überfluteten Straßen
gekämpft, um sie zu ihm in die Klinik zu bringen.
Das war vor zwei Tagen gewesen.
Tess’ Zustand habe ihn nicht weiter beunruhigt, da ihr Puls rasch auf die I V-Lösung reagierte. Sie sei immer wieder zu Bewusstsein gekommen, auch wenn sie sich nicht daran erinnern könne. Reilly hingegen gehe
es sehr viel schlechter. Er habe viel Blut verloren, die Lunge sei geschwächt, am schlimmsten aber sei die Kopfverletzung.
Ein Schädelbruch liege wohl nicht vor; er könne es aber nicht hundertprozentig sicher sagen, da es auf der Insel keinen Röntgenapparat
gebe. Reilly habe jedenfalls ein Schädeltrauma erlitten und sei bisher nicht zu Bewusstsein gekommen.
Tess spürte, wie sie blass wurde. «Was wollen Sie damit sagen?»
«Seine Vitalfunktionen sind regelmäßig, der Blutdruck ist besser, die Atmung schwach, aber immerhin atmet er selbst. Das Beatmungsgerät
dient nur dazu, sein Gehirn ausreichend mit Blut zu versorgen, solange er bewusstlos ist. Ansonsten …»
Ihr Gesicht verdüsterte sich. «Soll das heißen, er liegt im Koma?»
Mavromaras blickte ernst. «Ja.»
«Haben Sie hier alles, was Sie brauchen, um ihn zu behandeln? Sollten wir ihn nicht besser ins Krankenhaus bringen?»
«Auf unserer kleinen Insel gibt es leider keins. Das nächste befindet sich auf Rhodos. Ich habe nachgefragt, aber der Hubschrauber
wurde leider vor drei Tagen beim Sturm beschädigt, und sie warten noch auf Ersatzteile aus Athen. Bei diesem Wetter hätten
wir ihn ohnehin nicht dorthin bringen können. Sie hoffen, dass es sich bis morgen bessert. Wenn ich ehrlich bin, würde ich
ihn lieber nicht bewegen, und mehr als ein paar zusätzliche Monitore, an die sie ihn anschließen, gibt es auf Rhodos auch
nicht.»
Der Nebel um sie herum wurde dichter. «Man muss doch irgendetwas tun können», stammelte sie.
«Leider nicht, er ist ein Komapatient. Ich kann den Blutdruck und den Sauerstoffgehalt des Blutes kontrollieren, aber
aufwecken
kann ich nicht. Wir müssen einfach abwarten.»
Tess traute sich kaum, die Frage zu stellen. «Wann?»
Er kehrte unsicher die Handflächen nach außen. «Es kann Stunden, Tage, Wochen dauern … Man weiß es einfach nicht.» Sein Blick sagte alles. Offenbar war fraglich, ob es dieses «Wann» überhaupt geben würde.
Tess nickte und war dankbar, dass er die furchtbarste Möglichkeit wenigstens nicht ausgesprochen hatte. Sie selbst hatte es
schon geahnt, als sie den Raum betreten hatte.
KAPITEL 81
Den Rest des Tages wanderte Tess zwischen ihrem und Reillys Zimmer hin und her und fand jedes Mal Eleni an seiner Seite vor.
Die Krankenschwester scheuchte sie sanft zurück in ihr Bett und versicherte ihr in gebrochenem Englisch, Reilly gehe es bestens.
Dem Arzt und seiner Frau hatte sie eine stark zensierte Version der Ereignisse geliefert, die zu ihrem Schiffbruch geführt
hatten. Kein Wort über den Grund der Reise oder die Tatsache, dass ein türkisches Kanonenboot sie beschossen hatte. Sie erzählte
auch, wie viele Leute sich auf dem Tauchschiff befunden hatten, doch Mavromaras teilte ihr in ernstem Ton mit, man habe zwar
Trümmer, aber keine weiteren Überlebenden oder Toten gefunden.
Tess rief in Arizona an, wo Kim und Eileen schon besorgt auf Nachricht warteten, da sie sich mehrere Tage nicht gemeldet hatte.
Die Überraschung darüber, dass Tess sich auf einer winzigen griechischen Insel befand, war ihnen trotz der knisternden Verbindung
deutlich anzumerken. Instinktiv verschwieg sie den Namen der Insel und begriff erst später, dass sie einfach noch nicht bereit
war, sich den Fragen der Außenwelt zu stellen. Sie erklärte, in der Gegend habe sich eine unerwartete Forschungsmöglichkeit
ergeben und sie wolle sich bald wieder melden. Nachdem sie eingehängthatte, war sie sicher, dass sie die beiden fürs Erste beruhigt hatte.
Gegen Abend erschienen zwei einheimische Frauen und wurden in Tess’ Zimmer geführt. Obwohl sie kaum Englisch sprachen, verstand
sie, dass es die Ehefrauen der Fischer waren, die sie und Reilly gerettet hatten. Sie
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