Scriptum
bewaffnet. Einer trug ein kurzes Schwert, das er vor Martin durch die Luft sausen ließ, doch für einen ausgebildeten
Ritter war er nicht gefährlicher als ein Kind. Martin parierte mit einem schlichten Stoß, einem Aufwärtsruck, und das Schwert
verschwand ebenfalls im Wasserfall. Mit seinem nächsten Hieb trennte er dem Angreiferfast den Arm von der Schulter. Er wich dem Vorstoß des dritten Mannes aus, stellte ihm ein Bein und rammte ihm den Schwertknauf
gegen den Kopf. Präzise wie ein Henker holte er aus und köpfte ihn.
Er sah, wie der Arzt eilends den Rückzug antrat. In diesem Moment verspürte Martin einen entsetzlichen Schmerz im Rücken.
Der Mann, den er entwaffnet hatte, stand hinter ihm und hielt die bluttriefende Heugabel umklammert. Martin taumelte vorwärts,
ein Keuchen entrang sich seinen Lippen. Mit letzter Kraft riss er dem Gegner mit seinem Schwert die Kehle auf.
Vollkommen erschöpft verharrte er regungslos, als ihn etwas zwang, sich umzudrehen. Der letzte Verfolger stürmte auf ihn zu,
ein rostiges Schwert in der Hand. Martin reagierte zu langsam, doch da wankte Hugues aus dem Dickicht. Der Angreifer wurde
abgelenkt, umfing mit beiden Händen den Schwertgriff und durchbohrte den Oberkörper des alten Seemanns.
Blut quoll aus Hugues’ Mund, doch irgendwie konnte er noch vorwärts taumeln und den verblüfften Angreifer umklammern, wobei
er sich das Schwert noch tiefer in den Leib bohrte. Quälend langsam schob er den Mann rückwärts, Schritt für Schritt, bis
sie den Rand der Schlucht über den Wasserfall erreicht hatten. Der Mann ahnte, was geschehen würde, und wehrte sich verzweifelt
schreiend gegen den eisernen Griff des Verwundeten.
Martin schaute hoch zu den eng umschlungenen Gestalten. Er meinte, Hugues lächeln zu sehen, bevor der Kapitän der versunkenen
Faucon du Temple
ihm brüderlich zunickte, über den Rand trat und den Angreifer mit sich in die Ewigkeit riss.
Dann traf ihn ein heftiger Schlag am Hinterkopf, ihm wurde übel. Benommen drehte er sich um und erblickte die Gestalt des
Arztes, der mit einem Stein in der Hand über ihm stand.
«Ein starker Mann wie du bringt im Steinbruch einen guten Preis. Dank dir brauche ich ihn nicht mal mit den anderen zu teilen»,
krächzte der Alte höhnisch. «Vielleicht interessiert es dich, dass die Getöteten mit dem Aufseher des Steinbruchs verwandt
waren.»
Der Arzt hob den Stein, und Martin wusste, dass er dem Schlag unmöglich ausweichen konnte. Man würde ihn gefangen nehmen und
versklaven, niemals würde der Brief Paris erreichen. Er lag im frisch gefallenen Schnee, sah im Geiste noch Aimard de Villiers
und Guillaume de Beaujeu, bevor der Stein auf ihn niederging und ihre Gesichter sich auflösten.
KAPITEL 80
Grollender Donner riss Tess aus dem Schlaf. Sie warf sich hin und her, orientierungslos gefangen zwischen Bewusstlosigkeit
und Wachsein. Regen trommelte auf ihren Hinterkopf. Ihr ganzer Körper tat weh, als wäre ein Elefant darauf herumgetrampelt.
Als ihre Sinne langsam erwachten, hörte sie auch das Heulen des Windes und das Wellenrauschen. Sie erinnerte sich noch an
die Wasserwand, die sie zu begraben drohte. Plötzlich überkam sie Angst, aber dann begriff sie.
Sie war an Land.
Die Angst wich der Erleichterung, und sie öffnete die schmerzenden Augen. Zuerst waren die Bilder schwach und verschwommen,
dann merkte sie, dass etwas ihre Sicht behinderte. Mit einem zitternden Finger schob sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht
und betastete ihre Lider. Sie waren geschwollen, ebenso ihre Lippen. Sie wollte schlucken, vergeblich. Eine dornige Kugel
schien in ihrem Hals zu stecken. Sie brauchte Wasser, Süßwasser.
Langsam fügten sich die nebelhaften Bilder zusammen. Der Himmel war noch dumpf und grau, aber sie spürte, dass irgendwo hinter
ihr die Sonne aufging. Dem Geräusch der Brandung nach musste dort auch das Meer sein. Sie wollte sich hinsetzen, doch ihr
Arm war eingeklemmt und rührte sich nicht. Als sie daran zog, durchfuhr sie heftiger Schmerz.Sie tastete ihn mit der anderen Hand ab und stellte fest, dass der Arm mit einem Seil verschnürt war, das tief ins Fleisch
einschnitt. Natürlich, sie hatte sich und Reilly an die Holzplatte gebunden.
Reilly.
Wo war er?
Jedenfalls nicht neben ihr. Angst überkam sie aufs Neue. Sie setzte sich und zog mit einiger Mühe ihren Arm unter dem Seil
hervor. Dann rollte sie sich auf die Knie, stand langsam auf und sah sich um.
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