Scriptum
reden.»
Tess verzog das Gesicht. «Ja, klar, aber in Dougs Fall lieber später.»
Den Grund für die Anrufe, die ihr Exmann ihr auf der Mailbox hinterlassen hatte, konnte sie sich denken. Doug Merritt war
Nachrichtenmoderator bei einem Fernsehsender in Los Angeles und ging völlig in seinem Job auf. Bestimmt hatte er den Raubüberfall
auf das Metropolitan Museum in seinem schlichten Gemüt mit dem Umstand in Zusammenhang gebracht, dass Tess viel Zeit dort
verbrachte und über unheimlich wichtige Kontakte verfügte. Kontakte, die ihm nützlich sein könnten, um an Insiderinformationen
über das schlagzeilenträchtigste Ereignis des Jahres zu gelangen.
Wenn es allerdings nach Tess ging, würde er nie erfahren, dass sie sogar während des Überfalls im Museum war. Und nicht nur
sie, sondern auch Kim. Beim erstbesten Anlass würde er das skrupellos gegen sie verwenden.
Kim.
Tess dachte wieder daran, was ihre Tochter, wenn auch von der relativ sicheren Museumstoilette aus, am Vorabendmiterlebt hatte. Sie würde damit umgehen müssen. Da Kim vermutlich erst mit einer gewissen Verzögerung auf das Erlebte reagieren
würde, hatte sie zum Glück noch ein wenig Zeit, sich gründlich darüber Gedanken zu machen. Doch das beruhigte sie nicht. Sie
machte sich heftige Vorwürfe, sie überhaupt mitgenommen zu haben, obwohl das natürlich unsinnig war.
Sie sah Kim an und war von neuem dankbar dafür, dass ihre Tochter heil und unversehrt vor ihr stand. Kim verzog genervt das
Gesicht.
«Mama. Könntest du endlich aufhören.»
«Womit?»
«Mit dieser Leidensmiene», sagte Kim. «Mir fehlt nichts, okay? So schlimm war das nicht. Außerdem hältst
du
dir doch bei gruseligen Filmen immer die Augen zu.»
Tess nickte. «Na gut. Also dann bis später.»
Sie sah ihnen nach, bis sie davongefahren waren, und ging dann zu dem Tischchen in der Küche, auf dem der blinkende Anrufbeantworter
vier Nachrichten anzeigte. Tess funkelte das Gerät erbost an. Der Typ hatte vielleicht Nerven. Vor einem halben Jahr hatte
Doug wieder geheiratet. Seine Angetraute war eine schönheitschirurgisch optimierte Fünfundzwanzigjährige, die ebenfalls bei
dem Sender arbeitete. Tess zweifelte nicht daran, dass er seinen veränderten Familienstand dazu benutzen würde, seine Besuchsrechte
neu zu verhandeln. Dabei vermisste oder liebte er Kim nicht einmal besonders; hier ging es um Machtspielchen, um pure Bosheit.
Der Kerl war ein niederträchtiger Schuft, und Tess wusste, dass sie sich so lange dieser Anfälle von väterlicher Besorgnis
erwehren müsste, bis sein knackiges junges Spielzeug endlich schwanger würde. Mit ein wenig Glück würde er dannmit seinen Quertreibereien endlich aufhören und sie in Ruhe lassen.
Tess goss sich einen Kaffee ein, schwarz, und ging in ihr Arbeitszimmer.
Sie schaltete ihren Laptop an und griff zum Telefon. Es gelang ihr schnell, Clive Edmondson aufzuspüren; er lag im New York
Presbyterian Hospital in der East 68th Street. Sie rief das Krankenhaus an und erfuhr, dass er zwar nicht lebensgefährlich
verletzt war, aber noch ein paar Tage dort bleiben musste.
Armer Clive. Sie notierte sich die Besuchszeiten.
Dann schlug sie den Ausstellungskatalog auf und suchte, bis sie eine Beschreibung des Geräts fand, das der vierte Reiter an
sich genommen hatte.
Die korrekte Bezeichnung lautete «Rotorchiffrierer mit mehreren Walzen».
Laut Text handelte es sich um ein kryptographisches Gerät, das auf das sechzehnte Jahrhundert datiert wurde. Alt und interessant
möglicherweise, aber kaum das, was man normalerweise als einen «Schatz» des Vatikans bezeichnen würde.
In der Zwischenzeit war ihr Computer hochgefahren. Sie rief eine Suchmaschine auf und gab die Begriffe «Kryptographie» und
«Kryptologie» ein. Die Links führten vorwiegend zu technisch orientierten Websites, die sich mit Fragen der modernen Kryptographie
in Zusammenhang mit Computercodes und der Verschlüsselung elektronischer Übertragungen befassten. Geduldig ging sie die Liste
der Treffer weiter durch, bis sie schließlich auf eine Website stieß, die die Geschichte der Kryptographie behandelte.
Dort surfte sie herum, bis sie eine Seite mit Abbildungen von frühen Verschlüsselungsmaschinen fand. Bei der erstenhandelte es sich um das Wheatstone-Zifferngerät aus dem neunzehnten Jahrhundert. Es bestand aus zwei konzentrischen Ringen,
einem äußeren mit den sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets sowie einer
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