Scriptum
seufzte. Auf einmal meinte er jedes einzelne seiner siebzig Lebensjahre zu spüren. Die Bedrohung, das wusste er jetzt,
ging nicht von einem wissbegierigen Wissenschaftler oder irgendeinem zu allem entschlossenen Sammler aus. Wer auch immer hinter
dieser Sache stecken mochte: Er wusste genau, worauf er es abgesehen hatte. Und er musste aufgehalten werden, bevor ihm das
unrechtmäßig erworbene Gut seine Geheimnisse preisgeben konnte.
KAPITEL 7
Viertausend Meilen entfernt verfolgte ein anderer Mann genau entgegengesetzte Pläne.
Nachdem er sorgsam die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, nahm er das kostbare Stück von der obersten Stufe, auf der er
es abgestellt hatte, und begann langsam in den Keller hinabzusteigen. Das Gerät war zwar nicht schwer, aber er wollte es auf
gar keinen Fall fallen lassen.
Nicht jetzt.
Nicht, nachdem das Schicksal sich eingeschaltet und den Schatz in seine unmittelbare Nähe gebracht hatte, und schon gar nicht
nach dem Aufwand, den es gekostet hatte, ihn in seinen Besitz zu bringen.
Dutzende brennender Kerzen standen überall verteilt, doch ihr gelb flackernder Schein war zu schwach, um bis in jeden Winkel
des geräumigen Kellers vorzudringen. Hier unten war es nicht nur kalt und feucht, sondern auch noch düster. Der Mann nahm
das längst nicht mehr wahr. Er lebte nun schon so lange hier, dass er sich daran gewöhnt hatte. Für ihn war dieser Raum inzwischen
beinahe so etwas wie ein Zuhause geworden.
Zuhause.
Eine ferne Erinnerung.
Ein anderes Leben.
Behutsam stellte er das Gerät auf einen wackeligen Holztisch und ging in eine Ecke des Kellerraums, wo er so lange in einem
Stapel alter Kartons und Unterlagenmappen herumkramte, bis er fündig geworden war. Mit der gesuchten Mappe in der Hand kehrte
er an den Tisch zurück, er klappte sie auf und zog behutsam einen Hefter heraus. Dem Hefter entnahm er einige Bogen aus dickem
Papier, die er neben dem Gerät säuberlich auf dem Tisch anordnete. Dann setzte er sich und ließ seinen Blick zunächst einige
Male zwischen den Dokumenten und dem Gerät hin- und herwandern, um den lange ersehnten Augenblick gründlich auszukosten.
«Endlich», murmelte er. Seine Stimme klang brüchig, weil er so selten sprach.
Er nahm einen Bleistift zur Hand und richtete seine volle Konzentration auf das erste Dokument. Nach einem Blick auf die erste,
verblichene Zeile wandte er sich den Tasten zu, die sich auf der Oberseite des Geräts befanden. Nun trat er die nächste, entscheidende
Etappe seiner persönlichen Odyssee an.
Das Ergebnis dieser Odyssee, davon war er überzeugt, würde die Welt in ihren Grundfesten erschüttern.
KAPITEL 8
Am folgenden Morgen, einem Sonntag, war Tess nach kaum fünf Stunden Schlaf bereits wieder auf den Beinen. Sie brannte darauf,
sich eingehender mit einer Sache zu beschäftigen, die ihr seit dem Vorabend im Museum keine Ruhe gelassen hatte. Genauer gesagt
seit dem Moment, bevor Clive Edmondson sie ansprach und wenig später die Hölle losbrach. Sobald ihre Mutter und Kim aus dem
Haus waren, würde sie der Sache auf den Grund gehen.
Ihre Mutter Eileen war drei Jahre zuvor, kurz nach dem Tod ihres Mannes, des Archäologen Oliver Chaykin, zu ihnen in das zweistöckige
Haus an einer ruhigen, von Bäumen gesäumten Straße in Mamaroneck gezogen. Obwohl die Idee von ihr selbst stammte, hatte Tess
zunächst doch leise Bedenken gehabt. Immerhin aber verfügte das Haus über drei Schlafzimmer und ausreichend Platz für sie
alle, was das Zusammenleben sehr erleichterte. Letzten Endes hatten sie sich gut miteinander arrangiert, wenn auch die Vorteile,
wie sich Tess bisweilen eingestand, eindeutig zu ihren Gunsten ausfielen. Eileen spielte Babysitter, wenn Tess abends ausgehen
wollte, kutschierte Kim zur Schule, wenn sie verhindert war … Auch jetzt war wieder Verlass auf sie. Sie hatte Kim vorgeschlagen, zusammen loszufahren und Doughnuts zu besorgen, was
bestimmt helfen würde, das Mädchen nachden Geschehnissen vom Vorabend auf andere Gedanken zu bringen.
«Wir gehen jetzt», rief Eileen. «Ganz sicher, dass du nichts brauchst?»
Tess kam in die Diele. «Seht nur zu, dass ihr mir auch noch ein paar übrig lasst.»
In diesem Moment klingelte das Telefon. Tess ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Eileen sah sie an. «Willst du nicht
drangehen?»
Tess zuckte mit den Schultern. «Ich habe einen Anrufbeantworter.»
«Früher oder später musst du doch mit ihm
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