Scriptum
Leerstelle und dem inneren, der nur das Alphabet
enthielt. Zwei Zeiger, ähnlich Uhrzeigern, dienten dazu, Buchstaben des äußeren Rings durch verschlüsselte Buchstaben auf
dem inneren zu ersetzen. Der Empfänger der verschlüsselten Botschaft musste über ein gleiches Gerät verfügen und die Position
der beiden Zeiger kennen. Nachdem das Wheatstone-Gerät schon einige Jahre erfolgreich eingesetzt worden war, wurde in Frankreich
ein zylindrischer Kryptograph erfunden, bestehend aus zwanzig auf einem Metallstift in der Mitte aufgereihten Scheiben mit
Buchstaben auf den Außenrändern, der es zusätzlich erschwerte, eine auf diese Weise chiffrierte Botschaft zu entschlüsseln.
Während sie die Seite weiterscrollte, fiel ihr Blick auf die Abbildung eines Geräts, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem
Apparat aufwies, den sie im Museum gesehen hatte.
Sie überflog die Bildunterschrift und erstarrte.
Das Gerät hieß «Converter» und war eine frühe Rotorchiffriermaschine, die um 1940 bei der US Army in Gebrauch war.
Ihr stockte das Herz. Fassungslos starrte sie den Text an.
Die vierziger Jahre waren
früh
?
Gespannt las sie den Artikel, dem zufolge Rotorchiffriermaschinen eine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts waren. Tess
lehnte sich zurück, rieb sich die Stirn, scrollte zurück zu den ersten Abbildungen auf der Seite und las dann noch einmal
die Beschreibung im Katalog durch. Keinesfalls identisch, aber ziemlich ähnlich. Und deutlich raffinierter als zum Beispiel
das Wheatstone-Gerät.
Wenn die U S-Regierung ihren Apparat als «früh» einstufte, war es nicht verwunderlich, dass der Vatikan unbedingt eines seiner eigenen Geräte ausstellen
wollte, das allem Anschein nach lockere vierhundert Jahre älter war als die Maschine der Army.
Dennoch geriet Tess ins Grübeln.
Inmitten all der funkelnden Kostbarkeiten hatte der vierte Reiter ausgerechnet dieses geheimnisvolle Gerät an sich genommen.
Warum? Sammler hatten es zwar mitunter auf die seltsamsten Dinge abgesehen, aber das war schon ziemlich extrem. Sie überlegte,
ob ihm vielleicht ein Irrtum unterlaufen sein könnte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder – sein Vorgehen hatte äußerst
zielgerichtet gewirkt.
Auch hatte er sonst nichts mitgenommen. Er hatte es einzig auf dieses Gerät abgesehen.
Amelia Gaines kam ihr in den Sinn, die Frau, die man eher für ein Model aus einer Shampoowerbung hätte halten können als für
eine FB I-Agentin . Tess vermutete zwar stark, dass die Ermittler es auf Fakten und nicht auf Spekulationen abgesehen hatten, lief aber trotzdem
nach kurzer Überlegung in ihr Schlafzimmer und nahm die Karte aus ihrer Handtasche, die Agentin Gaines ihr am Vorabend gegeben
hatte.
Sie legte die Visitenkarte vor sich auf den Schreibtisch und rief sich noch einmal den Moment vor Augen, als der vierte Reiter
die Chiffriermaschine an sich genommen hatte. Wie er sie hochgehalten und etwas vor sich hin geflüstert hatte.
Beinahe …
ehrfürchtig
hatte er gewirkt.
Was hatte er nochmal gesagt? Im Museum war Tess zu durcheinander gewesen, um dem viel Beachtung zu schenken, aber auf einmal
konnte sie an nichts anderes mehr denken. Sie konzentrierte sich auf diesen einen Moment, verdrängtejeden anderen Gedanken und vergegenwärtigte sich noch einmal, wie der Reiter die Chiffriermaschine in die Höhe gehalten hatte.
Und dabei sagte er … ja, was?
Denk nach, verflucht nochmal.
Das erste Wort, da war sie sich ziemlich sicher, und so hatte sie es auch Amelia Gaines erzählt, war Veritas … aber dann, wie weiter? Veritas? Veritas
Dingsbums
…
Veritas vos? Das kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie suchte in ihrem Gedächtnis nach dem genauen Wortlaut, ohne Erfolg. Die
Worte des Reiters waren jäh durch die hinter ihm loskrachenden Schüsse unterbrochen worden.
Seufzend entschied Tess, dass sie eben mit den beiden Wörtern arbeiten musste, an die sie sich erinnern konnte. Sie wandte
sich ihrem Computer zu und wählte aus der Menüleiste die leistungsfähigste Suchmaschine aus. Sie gab «Veritas vos» ein und
erzielte über 22 000 Treffer. Was aber nicht weiter schlimm war. Der erste war bereits goldrichtig.
Da stand es. Sprang sie förmlich an.
Veritas vos liberabit.
Die Wahrheit wird euch befreien
.
Sie starrte die Sentenz an. Die Wahrheit wird euch befreien.
Na großartig.
Ihre Detektivarbeit hatte eine der banalsten und abgedroschensten Phrasen unserer Zeit zutage
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