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Scriptum

Scriptum

Titel: Scriptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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beim ersten Morgengrauen wieder an Deck kam, bot sich ihm ein
     erschreckender Anblick: Voraus durchschnitten grelle Blitze die Dunkelheit einer rasch aufziehenden Unwetterfront, und dumpfes
     Donnergrollen übertönte die Klagegeräusche der Takelage, an der der Wind zerrte. Hinter ihnen, im Osten, verdeckte eine gefährlich
     aussehende violette Wolkenbank die aufgehende Sonne, deren Strahlen nur vereinzelt den düsteren Himmel erhellten.
    Wie ist das möglich, dachte Martin. Zwei Stürme, einer kommt uns entgegen, der andere verfolgt uns. Auch der Kapitän hatte
     etwas Derartiges noch nie erlebt.
    Sie waren eingeschlossen.
    Die Windgeschwindigkeit nahm zu, und zugleich setzten kalte, scharfe Regengüsse ein. Das Segel schlug heftig gegen die Rahe,
     während die Schiffsbesatzung verzweifelt an den Brassen zerrte und der Mast bedrohlich ächzte. Unter Deck wieherten die Pferde
     und scharrten unruhig mit den Hufen auf den Planken. Martin beobachtete, wie der Kapitän hastig auf seiner Karte die Position
     des Schiffes markierte, ehe er dem Aufseher befahl, die Sklaven anzutreiben, und dem Steuermann Anweisungen zur Kursänderung
     zuschrie. Ein verzweifelter Versuch, den Stürmen zu entkommen.
    Martin trat zu Aimard auf das Vorderschiff. Auch der ältere Ritter beobachtete mit wachsender Sorge, wie sich die Sturmfronten
     näherten. «Es ist, als hetzte Gott selbst das Meer auf, uns zu verschlingen», bemerkte er und blickte Martin tief beunruhigt
     an. Binnen kürzester Zeit verfinsterte sich der Himmel, bis undurchdringliche Schwärze das Schiff umgab. Es schien, als sei
     der Tag zur Nacht geworden. Zugleich erreichte der Wind Orkanstärke, das Meer begann zu brodeln, und gewaltige, gischtgekrönte
     Wellen schlugen gegen den Rumpf. Blitze zuckten, unmittelbar gefolgt vom ohrenbetäubenden Knall des Donners. Der Regen prasselte
     so heftig auf das Schiff nieder, dass ein dichter Wasserschleier sie von der Außenwelt abschnitt.
    Hugues befahl einen Mann in den Ausguck, damit er den Horizont nach Land absuchte. Martin sah zu, wie der Seemann widerstrebend,
     aber dennoch tapfer dem sintflutartigen Regen trotzend, hinauf zum Krähennest kletterte. Das Schiff pflügte weiter durch die
     mächtigen Wogen, die sich hoch über die Reling auftürmten, ehe sie krachend auf das Deck niedergingen. Die Ruder entwickelten
     ein Eigenleben,manche schlugen gegen den Schiffsrumpf, andere schmetterten gnadenlos den angeketteten Sklaven entgegen, die mit ihnen rangen.
     Nachdem mehrere der Männer auf diese Weise verletzt worden waren, gab Hugues schließlich den Befehl, die Riemen einzuholen.
    Das Schiff war bereits seit Stunden hilflos von den turmhohen Wellen hin und her geworfen worden, als Martin durch das ohrenbetäubende
     Tosen hindurch plötzlich ein Krachen und Knirschen vernahm: Die Luken brachen ein, Wasser ergoss sich in die Laderäume. Das
     Schiff krängte gefährlich, und zugleich ertönte von oben das Geräusch von berstendem Holz: Der Mast brach. Als Martin erschrocken
     aufblickte, sah er gerade noch, wie das schwere Holz auf drei Besatzungsmitglieder niederstürzte, während der unglückliche
     Mann im Ausguck in die brodelnde See geschleudert wurde.
    Ohne Segel und Riemen war die Galeere auf Gedeih und Verderb dem Wind und den Strömungen ausgeliefert, und das wütende Meer
     stieß und zerrte sie ziellos bald da-, bald dorthin. Drei Tage und drei Nächte lang tobte der Sturm unablässig, doch die
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hielt der zornigen Naturgewalt beharrlich stand. Am vierten Tag dann, als die Winde noch immer nicht abflauten, drang plötzlich
     eine einzelne Stimme durch das Tosen: «Land in Sicht! Land!» Martin sah, wie einer der Männer gerade voraus deutete, aber
     sosehr er seine Augen auch anstrengte, er konnte nichts erkennen als das aufgewühlte Meer. Schließlich entdeckte er es doch:
     Fern am Horizont war vage eine dunkle Masse auszumachen.
    Und dann geschah es.
    Als sie das Land schon grausam nah vor Augen hatten, begann das Schiff zu bersten. Die gleichmäßig zusammengefügte Kraweelbeplankung,
     die dem Unwetter so langegetrotzt hatte, gab nach. Ein durchdringendes Ächzen ertönte, gefolgt von explosionsartigem Lärm. Der gesamte Schiffsrumpf
     barst. Unter den angeketteten Ruderern brach Panik aus, während die Pferde unter Deck verängstigt wieherten und schnaubten.
    «Die Sklaven!», brüllte Hugues. «Macht sie los, ehe sie ertrinken!» Seine Männer lösten hastig die Ketten, doch die

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