Scriptum
Freiheit
der Rudersklaven war von kurzer Dauer; Augenblicke später riss das einbrechende Wasser sie mit sich fort.
Hugues konnte das Unvermeidliche nicht länger aufhalten. «Das Beiboot zu Wasser lassen», befahl er. «Alle Mann von Bord!»
Als Martin nach achtern eilte, um mitzuhelfen, das Beiboot klarzumachen, kam ihm Aimard mit einem großen Lederbeutel entgegen.
Der ältere Ritter lief in die entgegengesetzte Richtung, zum Vorderschiff. Martin schrie ihm etwas zu, doch im selben Moment
überflutete eine weitere gewaltige Welle das Deck. Aimard wurde von der Wucht des Wassers über die Brücke geschleudert und
prallte mit der Brust gegen eine Ecke des Kartentisches. Er stieß einen Schmerzensschrei aus, aber gleich darauf biss er die
Zähne zusammen und rappelte sich wieder hoch, eine Hand gegen die Rippen gepresst. Martin eilte ihm zur Hilfe und wollte ihm
den Beutel abnehmen, was Aimard jedoch nicht duldete, obwohl die Last ihm in seinem angeschlagenen Zustand sichtlich zu schaffen
machte.
Mit Mühe und Not gelang es den Männern, in das Beiboot zu klettern. Das Letzte, was Martin de Carmaux von der
Faucon du Temple
sah, war, wie das geschundene Schiff von der tosenden See verschlungen wurde. Der gewaltige Vorsteven, an dessen Spitze die
geschnitzte Galionsfigur saß, brach wie ein Streichholz unter der entsetzlichen Gewalt des Sturmes.Zu hören war nichts. Das dämonische Heulen des Windes und die grässlichen Schreie der ertrinkenden Pferde übertönten jedes
Geräusch. Martin blickte die anderen acht Männer in dem Beiboot an und erkannte in ihren Augen das gleiche Grauen, das er
selbst empfand. In stummer Verzweiflung starrten sie auf das Schiff, das langsam in den turmhohen Wogen versank.
Wind und Wellen erfassten das Boot und schleuderten es umher wie ein Papierschiffchen, doch der Kapitän kommandierte rasch
sechs der neun überlebenden Männer an die Ruder, um das Boot nicht ganz den Naturgewalten zu überlassen. Während Martin sich
in die Riemen legte, starrte er vor sich hin, vor Erschöpfung und Verzweiflung am Ende. Sie waren aus dem Heiligen Land vertrieben
worden, und nun war auch noch die
Faucon du Temple
verloren. Er fragte sich, wie lange sie wohl überleben würden, selbst wenn sie das Ufer erreichten. Wohin auch immer es sie
verschlagen hatte, sie waren weit von der Heimat entfernt, tief in feindlichem Gebiet und kaum gerüstet, sich auch nur gegen
den schwächsten Feind zu verteidigen.
Nach einer Fahrt, die Stunden zu dauern schien, legten sich die Wellen ein wenig, und endlich sahen sie das Land, das sie
vom Schiff aus erspäht hatten. Kurze Zeit später zogen sie das Beiboot durch das seichte Uferwasser auf einen Sandstrand.
Noch immer heulte der Wind, und der kalte Regen peitschte ohne Unterlass auf sie nieder. Doch wenigstens hatten sie festes
Land unter den Füßen.
Nachdem die Männer mit ihren Schwertern den Boden des Bootes zertrümmert hatten, stießen sie es zurück in die raue See. Niemand
sollte ihre Ankunft bemerken. Hugues erklärte,sie hätten sich bereits auf nördlichem Kurs befunden, als der Sturm über sie hereinbrach, und er glaubte, die
Faucon du Temple
sei um die Insel Zypern herum noch weiter nach Norden abgetrieben worden. Auf das Wissen und die Erfahrung des Seemanns gestützt,
entschied Aimard, den Strand, der ihnen keine Deckung bot, zu meiden und zunächst ein Stück weit landeinwärts zu marschieren.
Anschließend würden sie sich nach Westen wenden, um einen Hafen zu suchen.
Die flachen Hügel schützten sie vor dem Wind und, was noch wichtiger war, vor den Blicken der Einheimischen, sofern diese
Gegend überhaupt bewohnt war. Bisher hatten die Schiffbrüchigen niemanden zu Gesicht bekommen und nichts anderes gehört als
das Heulen des Sturmes. Selbst die Tiere schienen sich vor dem Unwetter versteckt zu haben. Während des langen, erschöpfenden
Marsches bemerkte Martin, dass sich Aimards Zustand verschlechterte. Seine Rippen waren bei dem Aufprall offenbar ernsthaft
verletzt worden. Doch Aimard hielt trotz seiner quälenden Schmerzen tapfer durch; während er sich mit einer Hand die Seite
hielt, umklammerte er mit der anderen fest den Lederbeutel.
Als sie einen Ort erreichten, war ihre erste Gefühlsregung Furcht. In ihrer gegenwärtigen Verfassung konnten sie schwerlich
einen Kampf bestehen. Sie waren nicht nur verwundet und entkräftet, sondern besaßen zudem nur noch wenige Waffen. Doch
Weitere Kostenlose Bücher