Scudders Spiel
aber er ließ es hingehen. »Ich fürchte, sie hat erheblich mehr bekommen als sie erwartete.«
Grace nahm seine Hand, drückte sie an sich. »Du mußtest es tun, nicht wahr, Pete? Es gab nichts anderes?«
»Vielleicht gab es etwas anderes. Mir ist es nicht eingefallen.«
Sie entspannte sich. Wahrscheinlich hatte die Frage gestellt werden müssen. »Was werden sie mit Scudder machen?« fragte sie.
»Alles. Gefängnis. Nichts, eigentlich. Es ist nicht wichtig.« Er zögerte. »Wir haben miteinander gesprochen. Er und ich – wir haben viel miteinander gesprochen.«
Das war nicht viel von einer Erklärung. Kümmerlich, um die Wahrheit zu sagen. Aber es war alles, was er zuwege bringen konnte. Sie mußte sich ihren eigenen Reim darauf machen.
Er dachte an Maudie, oben in der Schulman-Villa. Das Haus gehörte ihr, solange sie lebte; Scudder hatte dafür gesorgt. Sie würde es überstehen. Im Moment war sie die durch etwas dem Tod Ähnliches beraubte Ehefrau. Scudder war ihre schlechte Gewohnheit: sie würde ihn vermissen. Aber dann würde sie sich wieder ihren Spielen zuwenden. Und mit Dr. Bessermans Hilfe würde sie alles sehr gut überstehen.
Er rückte auf dem harten Felsgestein. Wenn er nur wüßte, welchem ihrer vielen Spiele sie sich in dieser Minute zugewandt hatte.
Grace drückte seine Hand fester an sich. »Was nun?« fragte sie.
Er hatte sie über etwas nachdenken lassen. Vielleicht bestand ihre Weisheit bloß darin, lange Pausen zuzulassen. »Du meinst mich?«
Sie nickte.
»Ich habe nicht darüber nachgedacht.« Lügner! »Es ist alles ein bißchen plötzlich. Weißt du was?«
»Du könntest immer noch bleiben.«
Er könnte immer noch bleiben. Die Landzunge. Kontinuität. Nur hatte er keine Arbeit mehr, aber das zu erklären, fühlte er sich jetzt nicht imstande. Immerhin würde der Staat nachsichtig mit ihm sein, während er sich um etwas bemühte. Es kam darauf an, zu wissen, was man wollte, und dabei zu bleiben.
Eine ihrer Pausen. Dann: »Bei mir.«
Zuerst gelang ihm die Gedankenverbindung nicht.
»Nur für eine Weile, Pete, bis du dich gefangen hast. Ich meine, mit deiner Mutter oben in ihrem Haus wirst du etwas brauchen, wo …«
Sie verstummte. Er lächelte traurig. Sie hatte recht – mit seiner Mutter oben in ihrem Haus würde er wirklich etwas brauchen, wo er … Und, wenn das so war, wo besser als bei Grace? Er erinnerte sich ihres Beisammenseins. Nicht bloß ein gelungenes Abenteuer. Nein, viel mehr als das. Vier Tage kannte er sie: vier Tage voller Ängste, Unschlüssigkeiten, Erbärmlichkeiten. Und in diesen Tagen war jeder mit ihr verbrachte Augenblick eine Oase gewesen …
»Ich liebe dich wirklich«, sagte sie.
Schöne Worte. Aber in ihm versteifte sich etwas, beunruhigt über einen anderen Zusammenhang. »Was sagtest du gerade über meine Mutter?«
»Was ich sagte? Daß ich sie mag. Was ist daran falsch?«
»Und aus dem gleichen Grund?« Dem gleichen seltsamen Grund, der nicht länger übergangen werden konnte.
Sie starrte, rückte von ihm ab. »Ich habe etwas Falsches gesagt. O Gott, ich habe etwas Falsches gesagt.«
»Spiele.« Er war unfair, peinigte sie zu unrecht. Aber er konnte nicht an sich halten: »Maudies Lieblingsspiel ist Nichtkommunikation, nie offen über etwas zu sprechen. Meinst du, das sei auch mein Spiel gewesen?«
Sie war den Tränen nahe. Er drängte weiter. »Erzähl mir noch mal von deinem Vater!«
»Meinem Vater?« Sie drückte sich die Hände gegen den Kopf. »Er … er dachte, er wolle Kinder haben. Was er wirklich wollte, waren kleine Duplikate von sich selbst. Als ich daherkam, da …«
»Und wie ist das mit den langen Ferienaufenthalten?« Dies war ein neuer Gedanke, einer, den er vielleicht gemieden hatte. »All diese Tage hier oben auf der Landzunge – was fängst du mit dir an?«
Der Wechsel der Angriffsrichtung verwirrte sie. Sie bedeckte ihre Ohren. »Ich habe Freundinnen, Freunde – im ganzen Land. Wir kommen über Video-Einblendungen zusammen. Plaudern, weißt du. Und dann gibt es die Spiele.«
»Die Spiele?« Er brüllte es beinahe.
Sie krümmte sich von ihm fort. »Ich bin sicher, daß ich es dir gesagt habe. Ich … ich mache in langlebigen Konsumgütern. Haushaltsgeräten und dergleichen …«
Sein Zorn verflog. Er fühlte den Wind kalt im Gesicht, unter seinem Hemd rann der Schweiß sauer an ihm herab. Er sah sie an, plötzlich beschämt. Völlig gedemütigt von der grellen Vision seiner selbst, die sie ihm gab. Er beugte
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