SdG 04 - Die eisige Zeit
praktisch jeder Einzelne. Schweigend, erschreckend professionell. Er fragte sich, wie es wohl wäre, durch die Augen von einem von ihnen zu sehen, durch die Schichten der seelischen Erschöpfung, die Paran gerade bei sich selbst entdeckt hatte. Sie sind Soldaten – sie waren es, sie sind es jetzt, und sie werden es bis ans Ende ihrer Tage bleiben. Keiner, keiner von ihnen würde es wagen, fortzugehen um Frieden zu finden. Einsamkeit und Ruhe würden das sichere Gefängnis aus kalter Beherrschung aufschließen – und das ist das Einzige, das verhindert, dass sie wahnsinnig werden.
Elster hatte zu Paran gesagt, dass die Brückenverbrenner sich zurückziehen würden, wenn dieser Krieg erst einmal vorbei wäre. Sollte es notwendig werden, würde man sie auch dazu zwingen.
Armeen verfügten über Traditionen, und diese hatten weniger mit Disziplin zu tun als mit den bedeutungsschweren Wahrheiten des menschlichen Geistes. Rituale am Anfang, die sämtliche Rekruten miteinander teilten. Und Rituale am Ende, ein formeller Abschluss, eine Anerkennung – eine Anerkennung in jeder nur denkbaren Weise. Sie waren notwendig. Was sie schenkten, war eine Art geistiger Gesundheit, ein Mittel, um allem gewachsen zu sein. Soldaten können nicht ohne Führung losgeschickt werden, können nicht fallen- und alleingelassen werden in eine Umwelt, die sie nicht wiedererkennen und die ihrem Leben völlig gleichgültig gegenüber steht. Des Unaussprechlichen gedenken und ihm Ehre erweisen. Doch wenn es geschehen ist, was ist der ehemalige Soldat dann? Was wird aus ihm? Wird er eine ganze Zukunft damit verbringen, rückwärts zu gehen, den Blick auf die Vergangenheit gerichtet – auf die Schrecken dieser Vergangenheit, ihre Verluste, ihren Kummer, ihr schier herzzerreißendes Leben? Das Ritual ist eine Kehrtwendung, ein Blick nach vorn, eine freundliche, respektvolle Hand auf der Schulter, die sie weiterführt …
Kummer war ein stetiges, schwaches Säuseln in Paran, eine Woge, die niemals abebbte oder anschwoll, und die dennoch drohte, ihn zu ertränken.
Und wenn die Weißgesichter uns finden … dann könnten all die Männer und Frauen hier am Ende mit durchgeschnittenen Kehlen daliegen, und – oh, Königin, hilf mir! – ich frage mich allmählich, ob das nicht eine Gnade wäre. Königin, hilf mir …
Ein leises Flügelrauschen, und der Quorl war in der Luft; der Kommandant der Schwarzen Moranth hockte in dem maßgeformten Sattel.
Paran schaute ihnen einen Augenblick nach, als sie sich in den Himmel schraubten; sein Magen war in Aufruhr. Dann drehte er sich zu seiner Kompanie um. »Auf, Brückenverbrenner. Es ist Zeit, zu marschieren.«
Die dunkle, dumpfe Luft war von ungesundem Nebel erfüllt. Der Schnelle Ben spürte, wie er sich hindurchbewegte, und sein Wille kämpfte dabei wie ein Schwimmer gegen eine reißende Strömung an. Nach ein paar weiteren Augenblicken stellte er seine Bemühungen ein und schlüpfte seitwärts in ein anderes Gewirr.
Hier war es kaum besser. Irgendeine Infektion war von der wirklichen Welt eingesickert und verseuchte jeden magischen Pfad, den er ausprobierte. Er unterdrückte einen Brechreiz und schob sich weiter.
Das Ganze riecht nach dem Verkrüppelten Gott … doch der Feind, dessen Gebiet wir uns nähern, ist der Pannionische Seher. Zugegeben, man könnte das auch alles als nahe liegendes Mittel der Selbstverteidigung und somit als zufällige Übereinstimmung erklären. Aber seit wann glaube ich an so etwas wie zufällige Übereinstimmung? Nein, diese Mischung aus Gerüchen deutete auf eine tiefere Wahrheit hin. Dieser elende Aufgestiegene mag meinetwegen angekettet und sein Körper zerschmettert sein, aber ich kann trotzdem spüren – selbst hier –, wie seine Hand an unsichtbaren Fäden zieht.
Die vage Andeutung eines Lächelns spielte um die Lippen des Magiers. Eine würdige Herausforderung.
Er wechselte erneut das Gewirr und fand sich auf der Spur von … etwas wieder. Eine Präsenz befand sich vor ihm, ließ ein kühles, merkwürdig lebloses Kielwasser zurück. Nun, das sollte vielleicht keine Überraschung sein – ich bewege mich jetzt schließlich am Rande der Sphäre des Vermummten. Dennoch … Unbehagen prasselte wie ein Graupelschauer auf ihn ein. Er unterdrückte seine Nervosität. Das Gewirr des Vermummten widerstand dem Gift sehr viel besser als viele andere, die der Schnelle Ben ausprobiert hatte.
Der Lehmboden unter seinen Füßen war feucht und kühl, die Kälte drang
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